Von Dr. Christian Marettek (FIDES-Leiter, 28.03.2019)
Überblick: Euro-Währungskrise – war da was?
Das Thema Euro-Währungskrise war zwischen 2015 und 2018 fast ganz aus den öffentlich diskutierten Themen verschwunden. Obwohl die damit verbundenen Probleme leider nicht gelöst sind.
Demgegenüber konnte auf wissenschaftlicher Ebene zur Euro-Wärungskrise eine gewisse Dynamik festgestellt werden. Neben den quasioffiziellen Gutachten des (deutschen) Sachverständigenrats hatte sich beispielsweise gerade zum Thema der EU-Reformen die EconPol Europe (Zusammenschluss von Wirtschaftsforschungsinstituten) gebildet. Auch die privaten Initiativen z.B. der Bertelsmann-Stiftung) und von Econwatch bis hin zur Pluralen Ökonomik sind zu erwähnen.
Durch die Anstöße des neuen französischen Präsidenten Macron in 2017 und deren positive Aufnahme in Berlin im Herbst 2017 und erst recht durch das offene Weigern der neuen italienischen Regierung seit Sommer 2018, die Stabilitätskritierien der Euro-Zone einzuhalten, hat sich die Situation grundlegend verändert; jedenfalls stehen EU-Reformen wieder auf der politischen Agenda.
Was bedeutet dies aus Sicht der Demokratieforschung? Drei schwerwiegende Themen wären eigentlich zu lösen:
- Lösung der mit den Ungleichgewichten der Euro-Zone verbundenen Probleme
- Überwindung der hohen (Jugend-) Arbeitslosigkeit in Italien und Spanien („verlorene Generation“)
- Wiedergewinnung des Vertrauens der Bürger in die Europäischen Institutionen (vor allem ihre Lösungskompetenz).
Hintergrund: Die Euro-Währungskrise war schon zum Zeitpunkt der Griechenland-Krise in den Jahren 2009-2012 eines der dominierendsten Themen der veröffentlichten Meinung (mit entsprechender Bedeutung aus Bürgersicht).
Volkswirtschaftliche Beiträge zur Lösung der Euro-Währungskrise
Ziel sollte es sein, realistische Umsetzungsszenarien zu erarbeiten, die das immens komplexe Forschungsgebiet an der Schnittstelle zwischen VWL, EU-Recht, dem öffentlichen Recht der wichtigsten Mitgliedstaaten und den Politik-/Verwaltungswissenschaften bzw. dem öffentlichen Management trotzdem in einer fachlichen Ausgewogenheit betrachten sollte. Am Ende sollte das schwierige Konglomerat EU so verändert werden, dass es die Bürger (vor allem in Frankreich und Deutschland) wieder stärker als einen Frieden stiftenden und Wohlstand sichernden Bund erleben können.
Wie kann die Euro-Währungsunion so verändert werden, dass die verfassungsrechtlichen Probleme demokratiekonform gelöst werden, ohne dass es zu untragbaren Transferzahlungen kommt? Wie können Ausstiegsszenarien erarbeitet werden?
Grundsätzlich ist zu beachten, dass bestimmte VWL-Themen – wie z.B. der Streit um die „deutsche Austeritätspolitik“ – häufig sich zwar auf anerkannte Volkswirte (sogar Nobelpreisträger) beziehen und wie Glaubensaussagen weiter gegeben werden, ohne dass aber in der veröffentlichten Meinung hinreichend verständliche Darstellungen der Gesamtlage und der konkreten Folgen für die Bürger enthalten sind. Durch die hohe Komplexität der Ceteris Paribus-Erkenntnisse ist die verständliche Kommunikation für die Bürger ein wichtiges Nebenziel, damit wenigstens die interessierten Bürger hinreichend kompetent werden (z.B. um verantwortungsbewusste Wahlentscheidungen treffen zu können).
Das offizielle Reflexionspapier der EU-Kommission
In der am 25.03.2017 unterzeichneten Erklärung von Rom haben sich die führenden Vertreter der Mitgliedstaaten und der EU-Organe darauf verständigt, auf die „Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion (…); eine Union, in der die Volkswirtschaften sich annähern” hinzuarbeiten.
Die EU-Kommission hat hierfür am 31.05.2017 ein Reflexionspapier veröffentlicht, in dem mögliche Wege aufgezeigt werden, wie die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) bis 2025 vertieft und komplettiert werden kann.
Details zu den Feststellungen der EU-Kommission.
Bewertung aus Sicht von FIDES:
Die EU-Kommission berücksichtigt nicht ausreichend die Ängste der Bürger. Auch im Reflexionspapier, das ja viele Alternativen auf Hochglanzpapier erörtert, wird insbesondere kein realistisches Ausstiegsszenario aus dem Euro diskutiert, obwohl dies
- zur Erhaltung der Gesamt-EU als Friedenswerk u.E. geboten wäre, damit die Bürger überhaupt realistische Alternativszenarien betrachten können (und die Bürger sich vielleicht am Ende des Abwägungsprozesses wieder für die Euro-Zone entscheiden könnten)
- im Sinne eines demokratiekonformen Führungsverhaltens u.E. erforderlich gewesen wäre – zu einem Zeitpunkt, in dem die Euro-Zone bei großen Bevölkerungsanteilen der Euro 19 Vertrauen verloren hat.
Schauen wir etwas genauer hin: was ist zusammen mit den Partnern alles noch zu regeln? Bevor man von einer handwerklich gelungenen Währungsunion sprechen kann:
- Nach unserer Überzeugung verlangt eine Gemeinschaft demokratischer Staaten, dass auch ein Austritt aus der Euro-Zone auf Basis eindeutiger und fairer Regeln möglich sein sollte (übrigens auch ein Austritt eines Euro-Landes aus der EU). Dies ist aber leider nicht der Fall!
- Der zweite Hauptfehler der Währungsunion ist nach FIDES-Auffassung, dass die bisherigen Maßnahmen gegen eine zu hohe Staatsverschuldung offenbar nicht befriedigend greifen, wie die Griechenlandkrise gezeigt hat. Im Falle einer Staatsverschuldung von annähernd dem BIP (wie in Italien schon überschritten!) sollten klare Interventionspflichten der Euro-Finanzaufsicht bestehen, die unter bestimmten Voraussetzungen zu schrittweisen Souveränitätsentzügen führen könnten. In Zusammenarbeit mit dem IMF könnte eine Insolvenzordnung für Staaten geschaffen werden. Auch die Volksabstimmung aller Euro-Länder über den eventuellen Ausschluss des insolventen Mitglieds könnte angedacht werden.
Nach FIDES-Auffassung müssen endlich die Spielregeln der Währungsunion so eindeutig geklärt werden, damit sie anschließend strikt einzuhalten sind und dann die Gemeinschaft der Euro-Völker vielleicht ein neues Grundvertrauen dem Euro schenken kann.
Juristisches Vorgehen gegen die Euro-Währungsunion
Wie weit sich die Vorstellungen der EU-Kommission von den Sorgen engagierter Bürger entfernt haben, zeigt ein Vergleich der aktuellen Pläne der EU-Kommission mit den Verfassungsbeschwerden und Einstweiligen Verfügungen der Gruppe um den VWL-Professor Bernd Lucke (MdEP): Die Verfassungsbeschwerden wenden sich hauptsächlich gegen das Anleihen-Kaufprogramm im öffentlichen Sektor.
Das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (PSPP) ist das, gemessen am Ankaufsvolumen, größte Unterprogramm des Erweiterten Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Expanded Asset Purchase Programme – EAPP) der Europäischen Zentralbank (EZB). Im Zuge dessen erwerben die EZB und die Zentralbanken des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) am Sekundärmarkt Anleihen von Staaten (Zentralregierungen) sowie Schuldtitel von internationalen Organisationen und multinationalen
Entwicklungsbanken und von weiteren („anerkannten“) öffentlichen Einrichtungen einschließlich regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften im Umfang von derzeit ca. 60 Mrd. Euro monatlich und übernehmen diese Anleihen regelmäßig zur „Endlagerung“, d.h. ohne Absicht der kurzfristigen Rückveräußerung an den Markt, in ihre Bilanzen. (Das PSPP wurde durch den Beschluss (EU) 2015/774 der Europäischen Zentralbank vom 4. März 2015 (EZB/2015/10) förmlich eingeführt. Die Ankäufe begannen am 9. März 2015. Seither wurden die Ankaufsmodalitäten mehrfach geändert.)
Die Einstweilige Verfügung wurde vom Bundesverfassungsgericht an den Europäischen Gerichtshof weiter gegeben. Der Europaabgeordnete Bernd Lucke (LKR) kritisierte daraufhin (26.10.2017) die Fortsetzung der Staatsanleihenkäufe: „Mit dieser Entscheidung baut die EZB ihre Rolle als größter Kreditgeber der Eurostaaten weiter aus. Das ist nicht der dringend gebotene Ausstieg aus dem Programm.“
Lucke betonte:
„Wir werden unsere Klage weiter vorantreiben. Die EZB überschreitet massiv ihre Kompetenzen. Der Europäische Gerichtshof muss jetzt schnell entscheiden.“
Lucke bezieht sich in seiner Klage u. a. auf Artikel 123 des AEU-Vertrags, der eine sog. monetäre Staatsfinanzierung durch die EZB verbietet.
„Die EZB tut genau das, was verboten ist. Sie druckt weiterhin jeden Monat Milliarden von Euros und stellt sie den Eurostaaten praktisch zinslos zur Verfügung. Manchmal sogar zu negativen Zinsen. Keine Institution darf über dem Recht stehen,“ sagte Lucke.
Bewertung aus Sicht von FIDES:
Die Einschätzung von Lucke steht hier u.E. für einen beachtlichen Teil der europäischen Bürger, die eigentlich keine EU-Gegner sind, die aber die Qualität der Umsetzung der Euro-Währungsunion zurecht kritisieren.
Es geht dabei insbesondere um die Schnelligkeit, mit der die EZB supranationale Vereinbarungen mit Verfassungsrang offenbar in der Not gebrochen hat (zur Rettung der gemeinsamen Währung).
Im Interesse einer glaubwürdigen, in sich konsistenten Rechtsordnung ist aus FIDES-Sicht dringend zu fordern, dass bei einem Weiterbestand der Euro-Zone die wohl bestehenden Unklarheiten hinsichtlich der EZB-Kompetenzen im Vertragswerk der Euro-Zone in einer demokratisch ausgerichteten Weise überarbeitet werden sollten.
Dabei ist zu beachten, dass die von Lucke und ähnlichen Vertretern gezogenen Konsequenzen (sie verlangen den Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone) zwar konsequent erscheinen, nicht aber unbedingt in deutschem Interesse sein müssen.
Aus Sicht von FIDES gibt es begründete Hinweise, dass die deutsche Volkswirtschaft (nach Anfangsproblemen) insgesamt entscheidend von der Euro-Währungsunion profitiert (der DAX hat z.B. bei Rückgang der Arbeitslosigkeit in 2017 ein Allzeithoch erreicht). Die Wiedereinführung einer DM würde wohl so starke Aufwertungstendenzen verursachen, dass vermutlich durch die dann deutlich verteuerten Produkte der deutschen Industrie (stark auf Exporte weltweit ausgerichtet) gerade in Deutschland erhebliche Arbeitsplatzverluste drohen würden. Um es deutlich zu sagen: Sobald die DM wieder existiert, dürfte die Wechselkurse in Richtung China und USA sich so stark verschlechtern, dass z.B. der seit Jahren anhaltende Auto-Exportboom Richtung China schnell zu Ende sein dürfte, so dass Arbeitsplätze in Deutschland verloren gehen dürften.
Nach unserer Überzeugung müssen die Bürger über derartige Prozesse endlich ehrlich informiert werden. In gleichem Maße wie Deutschland als tendenzieller Aufwertungskandidat vom Euro profitiert hat, sind zahlreiche Produkte aus Italien und Spanien offenkundig zu teuer für den Weltmarkt geworden (beide Länder sind an eine Abwertungstendenz ihrer Währungen gewöhnt). Vor allem diese beiden Länder haben zwar hinsichtlich niedriger Zinskosten und Absicherung der existierenden Vermögenswerte durch den Euro profitiert – nicht aber hinsichtlich der Konkurrenzfähigkeit ihrer Produkte mit entsprechend katastrophalen Folgen für die Arbeitslosigkeit – vor allem bei jungen Erwachsenen.
Aus Sicht von FIDES ist dringend erforderlich, beiden Ländern vor allem bei der Jugendarbeitslosigkeit wirksam zu helfen, wofür durchaus zusätzliche großvolumige Hilfsprogramme der EU zu empfehlen sind. Dies erfordert nach unserer Überzeugung schon die Freundschaft zwischen unseren Ländern. Übrigens sollte Euro-Zone insgesamt hierdurch kaum eine größere Verschuldung verursachen: im Sinne der demokratiekonformen Gleichbehandlung aller Bürger der Euro19 sollten Haushaltsüberschüsse der nördlichen Länder für das zusätzlich Hilfsprogramm der EU gegen Jugendarbeitslosigkeit in Italien und Spanien (ggf. auch noch in Slowenien, Portugal und Teilen Frankreichs).
Dabei gehen wir davon aus, dass die zusätzlichen EU-Hilfen direkt in die notleidenden Länder transferiert werden sollten und mit den angedachten demokratieorientierten EU-Reformen verknüpft werden sollten, um die EU als hilfreiche Institution neu kennen zu lernen (die demokratisch kontrolliert wird) – dass aber im Gegenzug die Haushaltsdisziplin der Regierungen wie der italienischen 5Sterne-Lega-Regierung eingehandelt werden sollte, um die Euro-Zone insgesamt nicht zu gefährden. Hintergrund: Italien und Spanien zusammen haben so hohe Schulden, dass das Vertrauen in den Euro durchaus insgesamt gefährdet erscheint, wenn es nicht gelänge, die Haushaltsdisziplin durchzusetzen.
Schuldenstand in der Euro-Zone insgesamt (Ende 2016 leicht rückläufig)
Nach den statistischen Daten zur Euro-Zone des Jahres 2016 lässt sich eine leichte Entspannung in der Staatsschuldenkrise feststellen, die allgemein als eine der Hauptursachen der Euro-Währungskrise genannt wird.
Auf der Ebene der einzelnen Staaten waren die öffentlichen Schulden im Jahr 2016 in Griechenland (179,0 Prozent des BIP), Italien (132,6 Prozent), Portugal (130,4 Prozent), Zypern (107,8 Prozent) und Belgien (105,9 Prozent) besonders hoch. In Estland entsprach der Schuldenstand lediglich 9,5 Prozent des BIP. Darauf folgten Luxemburg (20,0 Prozent), Dänemark (37,8 Prozent).
Bewertung aus Sicht von FIDES:
Wenn man die Zahlen für Italien (132,6%) und Portugal (130,4) mit denen aus dem primären Krisenstaat Griechenland (179%) vergleicht, dessen faktischer Insolvenzstatus Allgemeingut ist, wird auf den ersten Blick verständlich, warum die Märkte gegen Anleihen der genannten Länder gewettet hatten. Die Staatsschuldenkrise in Europa dürfte daher vermutlich noch nicht überstanden sein. Die spannende Frage lautet: Bis zu welchem Verhältnis zwischen Staatsschulden und BIP kann ein zuverlässiges Bedienen der Schulden noch gewährleistet werden? Wäre es nicht zweckmäßiger, ein Insolvenzrecht für Staaten einzuführen?
Hinweis dazu auf die m.E. besonders aussagekräftige Homepage „Haushaltssteuerung“!
Wie stark die Euro-Zone insgesamt durch eine exzessive weitere Verschuldung eines großen Landes wie Italien gefährdet werden kann, lässt sich an dem Verhältnis der Schulden zum BIP der Euro19 plausibilisieren: Unter Verwendung der aktuellen Schuldenuhr aus der Seite Haushaltssteuerung ergibt sich ein aktueller Schuldenstand für die Euro-Zone von 87% des BIP über die Euro19!
„Die Risiken für die Finanzstabilität im Euroraum sind nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank gestiegen. Im Euroraum beunruhigen die EZB vor allem die Budgetpläne der italienischen Regierung mit höheren Haushaltsdefiziten. „Es gab einen großen Preisverfall für italienische Anleihen und den Aktienmarkt“, erinnerte de Guindos. Eine Ansteckung anderer Länder der Europeripherie sei aber ausgeblieben. Das liege wohl daran, dass Länder wie Spanien und Portugal stärker wachsen und ihren Bankensektor aufgeräumt hätten. De Guindos sagte, er hoffe darauf, dass es zu einer Einigung mit Italien komme. Zuletzt hatten sich die Risikoaufschläge auf italienische Anleihen entspannt. Italien brauche mehr Wachstum, unterstrich der Spanier, der seit einem halben Jahr als Vizepräsident der EZB amtiert. Ein ungeordneter Brexit würde Großbritannien in eine schwere Rezession stürzen, doch die Banken des Euroraums könnten dies verkraften.“
Leider entwickelt sich auch das traditionell gute Verhältnis zwischen Italien und Deutschland schwierig (FAZ vom 29.11.2018: „Italien dreht durch“)
Zitat: „Das Verhältnis zwischen Italien und Deutschland ist zurzeit ein Minenfeld, auch und gerade in den Medien. Zum aktuellen Zerrbild gehört, dass nur Deutschland vom Euro profitiert habe – wobei der Euro den Italienern jährlich dreißig bis fünfzig Milliarden Euro an Zinskosten erspart hat. Oder dass Italien sozusagen mit vorgehaltener Pistole in die Währungsunion gezwungen wurde, um dann von den Deutschen ausgebeutet zu werden – wer die europäische Szene 1997 und 1998 erlebte, der weiß, wie damals wichtige Italiener die Partner geradezu anflehten, um in die Währungsunion zu kommen und dem Absturz zu entgehen. Der damalige Schatzminister und spätere Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi gestand später, sein Land wäre sonst in der Pleite geendet wie Argentinien.
Parteigründer Beppe Grillo wiederum rief beim Festival seiner Fünf-Sterne-Protestbewegung vom Podium im römischen Circus Maximus, die Deutschen hätten gut reden, „denen wurden schließlich die Schulden erlassen“. Eine Anspielung auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953, das aber nur einen Schuldenschnitt und keinen Schuldenerlass brachte. Es blieben Schulden von gut zehn Prozent des damaligen Volkseinkommens, und für die jährliche Tilgung musste ein Fünftel des damaligen Exportüberschusses aufgebracht werden. Doch an dieser Stelle nimmt es niemand in Italien so genau, es gilt, noch etwas mehr draufzusetzen.“
Weiterentwicklung der Euro-Zone – Was ist zu tun?
Daniel Gros, Direktor des einflussreichen Brüsseler Think-Tanks CEPS (gehört zu EconPol Europe), hat am 14.09.2017 die neuesten Vorschläge des Kommissionspräsident kommentiert: The Commission’s Views on Strengthening the Euro Area – Barking Up the Wrong Tree?
Darin werden die Pläne des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker vom 13.09.2017, die Euro-Zone auf weitere Staaten auszuweiten, als substanzlos bezeichnet: „Juncker’s proposals on the euro area are lacking in substance and coherence. Small, concrete steps aimed at strengthening financial stability would have been more useful.“
„The crisis showed that the key weakness of the euro area was financial instability, not the absence of a line in the EU budget or the lack of a ‘double-hatted’ European Finance Minister.“
Daniel Gros kritisiert insoweit Juncker’s Vorschläge “Roadmap For a More United, Stronger and More Democratic Union” mit seinen drei Schlüsselelementen der Europäischen Währungsunion (EMU):
- Transformation of the European Stability Mechanism into a European Monetary Fund
- Creation of a dedicated euro area budget line within the EU budget
- Creation of a double-hatted European Minister of Economy and Finance
Überzeugend führt der Brüsseler Wissenschaftler Gros u.E. aus, dass der erste und dritte Vorschlag lediglich weitere Kompetenzverlagerungen auf die EU-Ebene darstellten – ohne dass aber die konzeptionellen Mängel angegangen würden. Gros hat recht: so können skeptische Bürger wohl kaum überzeugt werden.
Bewältigung der Demokratiedefizite der EU?
Nachdenklich kommentiert Marek Louzek von der Wirtschaftsuniversität Prag in der FAZ vom 03.04.2017, S. 11, die weltweit diskutierten Thesen von Henry Kissinger 2014, Weltordnung, und von Dani Rodrik 2012, Das Globalisierungsparadox (Rodrik ist Professor in Harvard) die einen Widerspruch zwischen demokratisch strukturierten Nationalstaaten einerseits und der für das Wohlergehen aller Menschen wichtigen Hyperglobalisierung sehen, welche in ihrem Wesen undemokratisch sei. (Die EU ist gemäß Rodrik nur scheindemokratisch, weil das Parlament nur ein Diskussionsort sei. Rodrik schlägt vor, die allzu forcierte Integration auf den Prüfstand zu stellen; FAZ ebenda).
Marek Louzek kommt zum Ergebnis, dass die EU zumindest eine verbesserte Rückbindung an die Nationalstaaten vornehmen sollte (FAZ ebenda).
Treffend aus FIDES-Sicht die Analyse von Amrita Narlikar, Leiterin des Hamburger German Institute of Global and Area Studies (Giga). Narlikar wird in der FAZ vom 17.11.2018 wie folgt zitiert: „Macrons Thesen sind genauso falsch wie Trumps ,America first‘“
Wenn die politischen Eliten den Gegensatz zwischen Globalisierung und nationalem Interesse zu einem unüberbrückbaren Konflikt erklärten, riskieren sie nach Ansicht der Giga-Präsidentin, die westlichen Gesellschaften weiter zu spalten. Rechts- und linkspopulistische Bewegungen profitierten davon, wenn dieser angeblich nicht aufhebbare Gegensatz zwischen den Interessen von Nationalstaaten und der Weltgesellschaft konstruiert werde. Trump und die populistischen Bewegungen auch in Deutschland bezögen ihre Stärke daraus, dass die Menschen, die sich vor den Folgen der Globalisierung fürchten, bei den liberalen Eliten oft wenig Sympathie und dafür Widerspruch ernteten.“
Charakteristisch für die Skepsis vieler, an sich wohlmeinender EU-Bürger ist das persönliche Statement von Bernd Lucke (LKR, MdEP):
„Ich bejahe die friedliche Einigung Europas und die Europäische Union. Aber seit einigen Jahren beobachten wir eine gravierende Fehlentwicklung der EU hin zu einem zentralistischen, dirigistischen und bürokratischen Überstaat. Es entstehen neue Institutionen wie der Europäische Stabilisierungsmechanismus, die demokratisch mangelhaft legitimiert sind. Es entstehen Formen der Schuldenvergemeinschaftung wie im ESM oder in der Bankenunion. Es entsteht ein europäischer Superstaat, der die Souveränität der Einzelstaaten zunehmend einschränkt. Ich möchte mich statt dessen für ein bürgernahes, dezentrales und demokratisches Europa einsetzen.“
Das aktuelle Situation der Euro-Zone Herbst 2018 im Hinblick auf Italien
Die Sicht der italienischen Regierung auf den Euro war seit jeher zwiegespalten. Während des Wahlkampfes 2018 spielte der Euro dennoch kaum eine Rolle, da das Volk klar gegen einen EU-Austritt ist. Die Diskussion um den Euro hätte die populistische Cinque Stelle und die Lega Stimmen gekostet, denn in der Vergangenheit haben beide Parteien sogar vehement den Austritt aus dem Euro gefordert. Denn obwohl das italienische Volk längst nicht mehr so stark für Europa begeistert ist, wie es vor einigen Jahren der Fall war (49% der Italiener sind der Ansicht, dass sich viele Dinge in Europa in die falsche Richtung entwickeln und sind frustriert über die Führungselite in Brüssel, vgl. Neue Zürcher Zeitung, Artikel vom 01.06.2018, Andrea Spahlinger, Italiens Populisten haben eine schwammige Haltung gegenüber Europa) halten doch aller Unzufriedenheit zum Trotz nur 17% der Italiener die EU-Mitgliedsschaft für einen Fehler.
„Die Populisten haben ihre Position im letzten Jahr diesem Trend angepasst. Der Chef der Cinque Stelle, Luigi Di Maio, hat sich im Wahlkampf gar als vertrauenswürdiger Partner Europas zu präsentieren versucht. Der Lega-Chef, Matteo Salvini, hielt zwar an seinem konfrontativen Kurs fest, kam auf die Themen EU und Euro aber auffällig selten zu sprechen.“ s. Neue Zürcher Zeitung, Artikel vom 01.06.2018, s.o.
Paolo Savona, der als einer der Chefideologen der Cinque Stelle und der Lega gilt und seit jeher als Anti-Europäer gesehen wird, wurde der Kandidat der beiden Parteien für das Finanzministerium. Fachlich wäre Savona, der als einer der profiliertesten Ökonomen Italiens gilt und auch bereits langjährige politische Erfahrung hat, ein tadelloser Kandidat für das Amt gewesen. Doch der europafreundliche Präsident Sergio Mattarella wollte für dieses Amt eine andere Persönlichkeit finden, denn Savona ist wahrscheinlich der langjährigste Euro-Kritiker Italiens. Schon 1992 bei der Aushandlung des Vertrags von Maastricht hat er sich gegen den Beitritt Italiens zur Währungsunion ausgesprochen – zu einer Zeit, wo man sich als Euro-Kritiker noch unbeliebt machte.
In einem Interview mit Giorgio Schiavoni von dem italienischen Fernsehsender TG2000 erklärte Paolo Savona im Mai 2014 genauer, was ihn am Euro eigentlich stört und von Anfang an störte.
„Die Idee eines gemeinsamen europäischen Marktes ist eine wertvolle und sehr wichtige Idee, denn so entsteht ein noch größerer Markt als der der Vereinigten Staaten, welcher die größte ökonomische Macht der Welt ist. Damit ein Binnenmarkt funktionieren kann, bedarf es einer Einheitswährung, also war die Absicht korrekt. Doch um einer Währungsunion beizutreten, muss der Zustand dahinter stimmen, und der fehlt [im Falle Italiens].“ s. Euro sì, Euro no, L’opinione di Paolo Savona ’nell intervista di Giorgio Schiavoni, Interview mit P. Savona, 21.05.2014
Nach seiner Aussage ist die in der EU-Währungsunion gängige Sparpolitik nicht für Italien geeignet, da die Austeritätspolitik Einsparungen an allen Seiten vorsieht: Das bedeutet noch weniger Arbeitsplätze und das, obwohl die Arbeitslosigkeit noch immer das Hauptproblem der italienischen Gesellschaft ist.
Doch in seinem neusten Buch „Come un incubo e come un sogno“, welches am 23. Mai 2018 erschienen ist (auf deutsch: Wie ein Albtraum und wie ein Traum) schlug er weniger sachliche Töne an: Er nannte die Einheitswährung einen „deutschen Käfig“. Deutschland wolle nach dem militärischen Scheitern im 2. Weltkrieg „Wir müssen einen Plan B, um, wenn notwendig aus dem Euro auszutreten vorbereiten … die andere Alternative ist, zu enden wie Griechenland.“ Er griff auch italienische Politiker an, die entschieden haben, Italien in den Euro zu bringen, was seiner Ansicht nach Italiens Kaufkraft halbiert habe. Doch gegen den Vorwurf, Anti-Europäer zu sein, wehrt er sich: Er sei kein Euro-Gegner, sondern möchte im Prinzip ein vereintes Europa, weshalb er das Schlimmste von dem, was er in Brüssel sieht, kritisiert.
„Europas Schwierigkeiten liegen an seinen Führungseliten: Sie sagen, sie interessieren sich für die Menschen, doch eigentlich kümmern sie sich nur um sich selbst.“ – Paolo Savona, aus der italienischen Zeitschrift Avvenire.it vom 23. Mai 2018
Savona kritisiert insbesondere die EZB: Um die Währungsunion zu verbessern, müssen die Regeln der EZB verändert werden, damit die EZB eine größere Kontrolle über die Devisenpolitik erlangt. Somit nimmt er genau die ideologische Haltung ein, die die populistischen Parteien im Wahlkampf vertreten haben.
Die FAZ fasst am 20.11.2018 den Konflikt zwischen der EU-Kommission und der neuen Regierung Italiens folgendermaßen zusammen:
„Der Streit mit Europa stärkt das Regierungsbündnis aus linker Fünf-Sterne-Bewegung und rechter Lega bislang im eigenen Land. Das Risiko, dass der Konflikt mit Brüssel um den italienischen Haushalt für 2019 eskaliert, stufen Ökonomen daher als hoch ein. Fehle auf einer Seite der Wille zum Kompromiss, könne das schwerwiegende Folgen haben, warnt der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, Oliver Holtemöller. „Das könnte den Euroraum auseinanderpusten“, sagt er der F.A.Z. Ähnlich sieht es Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. „Ich sehe die Gefahr, dass rein der Nationalismus die Positionen der italienischen Regierung in den Verhandlungen bestimmt und dass versucht wird, Europa und dem Euro die Schuld für die eigenen Fehler in die Schuhe zu schieben“, sagt der Forscher.
Auch die EU-Kommission macht bisher keine Zugeständnisse. Hierfür in Gesprächen die Bereitschaft aufzubringen halten deutsche Volkswirte aber für geboten.
„Man muss einen Kompromiss finden und der Regierung in Italien mehr Spielraum geben“, fordert Fratzscher. „Wir haben in der Finanzkrise gesehen, dass eine reine Sparpolitik kurzfristig auch mit konjunkturellen Risiken einhergeht“, sagt Holtemöller. Offenheit für den Dialog zu zeigen findet auch Clemens Fuest wichtig, der Präsident des Ifo-Instituts in München. Weil Strukturreformen das Wirtschaftswachstum fördern und den Italienern helfen würden, die Starre vergangener Jahre zu überwinden, könnten solche Reformen höhere Ausgaben rechtfertigen, ebenso den punktuellen Verzicht auf Steuereinnahmen, meinen die Ökonomen. Denn in Italiens strukturellen Schwächen sehen Volkswirte das eigentliche Problem.
Obwohl der Euroraum seit Jahren einen Aufschwung erlebt, liegt Italiens Wirtschaftsleistung noch immer unterhalb des Niveaus vor der Finanzkrise. Die Produktivität steigt seit zwei Dekaden kaum, auch weil der technologische Fortschritt im verarbeitenden Gewerbe nicht Einzug hält. Die Arbeitslosenquote beträgt 10 Prozent und liegt unter Jugendlichen sogar dreimal so hoch. Das lässt befürchten, dass viele junge Menschen, das wertvollste Kapital einer wissensbasierten Gesellschaft, auf dem Arbeitsmarkt kaum mehr bestehen werden. Im internationalen Wettbewerb droht Italien weiter zurückzufallen.
Dringend reformbedürftig ist nach dem aktuellen Länderbericht der EU-Kommission das Bildungssystem. Ökonomen sehen hier Raum für Zugeständnisse. Die Schulen und Hochschulen des Landes sind unterfinanziert. Der Anteil der frühen Schulabgänger liegt über dem EU-Durchschnitt. Das gilt auch für die Quote der Studienabbrecher. Zugleich brauchen Italiener für ihr Studium viel länger als andere. Für Innovationen und bessere Wettbewerbsfähigkeit wären Bildungsreformen und größere Anstrengungen in Forschung und Entwicklung nötig. Um zudem die Bedingungen am Wirtschaftsstandort zu verbessern und diesen für Investoren attraktiver zu machen, empfiehlt der Internationale Währungsfonds, steuerliche Belastungen für den Einsatz der Faktoren Kapital und Arbeit zu senken, die Lohnstückkosten zu reduzieren und die Ursachen zu langer Laufzeiten zivilgerichtlicher Verfahren zu beheben. Auch könnten Einspareffekte durch engere EU-Kooperationen in der Außen- und Verteidigungspolitik erzielt werden, sagt Fuest.
In jedem Fall sollte die Regierung aber von ihrem Vorhaben abrücken, Wahlgeschenke mit der Wiedereinführung eines niedrigeren Renteneintrittsalters und einer Grundsicherung zu verteilen. Das wird der Wirtschaft nach Meinung fast aller Ökonomen nur Ressourcen entziehen. Keinesfalls würden solche Mehrausgaben das Wachstum anregen, wie die italienische Regierung verspricht. Die Ökonomen Olivier Blanchard und Jeromin Zettelmeyer schließen das in einem Beitrag für das Peterson Institute for International Economics aus. Sie warnen, solch eine Klientelpolitik führe in die Rezession.
„Streit herrscht vor allem in der Frage, ob die Kriterien für die ESM-Kreditvergabe und für die Umstrukturierung der Staatsschuld von Empfängerländern geändert werden sollen. Mehrere nordeuropäische Länder fordern, dass eine solche Umschuldung nach immer gleichen abstrakten Kriterien erfolgt und etwa eine Beteiligung privater Gläubiger festgeschrieben wird. Andere Länder argumentieren, eine Umschuldung nach Schema F sei unmöglich; jeder Einzelfall müsse geprüft werden.“
Die deutsch-französische Initiative für einen Eurozonen-Haushalt wird konkret erst in den Verhandlungen über den mittelfristigen Haushaltsrahmen 2021 bis 2027 eine Rolle spielen. Während einige nordeuropäische Länder den Eurohaushalt weiterhin komplett ablehnen, dringen Deutschland und Frankreich darauf, ihr vor zwei Wochen aufgesetztes Papier zu diesem Thema zumindest in eine Absichtserklärung einfließen zu lassen. Zur Einlagensicherung wird es auf dem Eurogipfel auf alle Fälle nur eine unverbindliche Erklärung geben, wonach darüber weiter gesprochen werden solle.“
Sollte Deutschland den Euro verlassen?
Als prominenter Befürworter kann Bernd Lucke und seine LKR zitiert werden. Weil der VWL-Professor und Mitglied des Europäischen Parlaments von Anfang an einer der profiliertesten Euro-Kritiker ist – der zugleich als engagierter Christ und Europäer wohl weitgehend frei davon sein dürfte, kurzfristige oder/ und opportunistische Interessen zu vertreten, bringen wir im Folgenden ausführliche seine Standpunkte:
- „Der Euro als Einheitswährung ist zu einem Sprengsatz für Europa geworden. Die im Zwangskorsett der Einheitswährung überforderten Länder leiden unter zuvor nie gekannten Arbeitslosenquoten und Wachstumseinbußen, und die Gläubigerländer schütten permanent Geld in ein Fass ohne Boden. Dies schürt Unzufriedenheit bis hin zu Wut und Hass auf beiden Seiten. Der Euro ist deswegen auch politisch gescheitert.“
- „Die Regeln des Maastrichter Vertrages werden permanent umgangen und gebrochen. Die Niedrigzinspolitik der EZB enteignet die Sparer, um überschuldete Staaten und Banken mit immer weiteren Krediten zu Vorzugskonditionen zu versorgen. So kann und darf eine Währungsunion nicht funktionieren.“
- „Leidtragende sind alle Menschen, die für ihr Alter oder für die Zukunft ihrer Kinder vorsorgen wollen. Gigantische Mittel fließen über Rettungsfonds und EZB-Kredite an
die Staaten und Banken der Defizitländer, ohne realistische Aussicht darauf, dass sie jemals zurückgezahlt werden. Die Rettungsfonds refinanzieren sich über eigene Verschuldung. Sie umgehen damit die im Fiskalpakt vorgesehenen nationalen Schuldenbremsen und verschieben die Kosten der heutigen Misswirtschaft auf künftige Generationen.“ - „Deutschland ist Hauptgarant im Euroraum und größter Nettozahler in der Europäischen Union. Wir können bei allen währungspolitischen Entscheidungen ein hohes Gewicht in
die Waagschale werfen.“
Die „Liberal-Konservativen Reformer“ fordern daher:
- Keine Gewährung weiterer Kredite durch den ESM. Da der Bundestag Krediten aus dem Rettungsfonds ESM zustimmen muss, kann Deutschland die Vergabe immer blockieren.
- Keine weitere Staatsfinanzierung durch die EZB, auch nicht indirekt über das Bankensystem.
- Keine multinationalen Rettungsfonds für Banken.
- Keine Eurobonds.
- Die Ausnahme, dass Banken keine Eigenkapitalunterlegung für Staatsanleihen benötigen, muss schrittweise aufgehoben werden.
- Stimmgewichte in der EZB gemäß den Stammkapitalanteilen der einzelnen Länder.
- Vetorecht für die drei Länder mit den größten Kapitalanteilen.
- Jährlicher Ausgleich künftiger Targetsalden wie im Federal Reserve System der USA. Für die bereits aufgelaufenen Salden ist ein Tilgungsplan zu erstellen.
- Schaffung eines Insolvenzrechts für Staaten.
- Schaffung eines geregelten Austrittsrechts aus dem Euroraum.
- Für nicht konkurrenzfähige Länder wie Griechenland wäre es schon seit langem richtig gewesen, die Währungsunion zu verlassen. Das wäre auch für die Bevölkerung dieser
Länder das Beste. Erfahrungsgemäß zahlt sich eine Abwertung schon bald in höherem Wachstum, geringeren Defiziten und besserer Arbeitsmarktlage aus. - Für das Ausscheiden aus der Währungsunion ist kein formeller Austritt aus der EU (Art. 50 Abs. 1 EU-Vertrag) nötig.
- „Es genügt, wenn die EZB entsprechend den klaren europarechtlichen Regelungen einem Land und dessen Banken bei fehlender Bonität keine weiteren Kredite mehr gibt. Dies
würde zwangsläufig zu einem Austritt des überforderten Staates aus dem Euro führen.“
Fazit aus Sicht des FIDES-Vorstandes
Die Argumentation der LKR und ihres Vorsitzenden Bernd Lucke kann man vielleicht am ehesten als klassische, angebotsorientierte Nationalökonomie bezeichnen. Das Problem ist sicherlich, dass die Krisenländer eben gerade nicht dazu bereit sind, den Euro zu verlassen, weil die Bevölkerung zurecht unmittelbare Vermögensverluste infolge der Abwertung befürchtet. Umgekehrt ist fraglich, ob der Austritt Deutschlands (der sicherlich möglich wäre) tatsächlich in deutschem Interesse wäre. Die dann zu erwartende deutliche Aufwertung würde (vereinfachend gesagt) zwar die Vermögenden mittelfristig besserstellen, während durch die gesunkene Wettbewerbsfähigkeit Arbeitsplätze in der exportabhängigen Wirtrschaft wegfielen. Andererseits könnte man den deutschen Austritt damit moralisch rechtfertigen, dass wir damit den Krisenländern einen wirklichen Dienst erweisen.
Das was Luckes Position sympathisch macht, sind sicherlich die mit hoher Wahrscheinlichkeit anschließend zu erwartenden positiven Wachstumsimpulse nach einer Abwertung in Italien, Spanien und Portugal (vielleicht auch in Griechenland).
Außerdem: dass das aus demokratietheoretischer Sicht problematische „Weiterso“ der Euro-Zone bei einem Austritt Deutschlands durchbrochen werden würde. Ob ein solcher Austritt jedoch als „Todesstoß gegen Europa“ missverstanden werden würde, kann als beachtliches Risiko einer derartigen Politik angesehen werden. Hintergrund: Deutschland ist weiterhin uneingeschränkt auf den gemeinsamen Markt angewiesen – vor allem aber auf freundschaftliche Beziehungen zu unseren Nachbarn (zwecks Sicherstellung/Fortsetzung der längsten Friedensperiode in der Europäischen Geschichte).
Was wird stattdessen durch die offizielle Euro-Politik gemacht?
Das was im Euro-Land jetzt gemacht wird, scheint jedenfalls doch sehr weit weg von der „Neugründung Europas“ entfernt zu sein, wie es Macron ursprünglich vorschlug. Ob die bessere Ausstattung des ESM ausreicht, um die aufgeheizte Atmosphäre zu beruhigen, scheint mehr als fraglich.
Vielmehr ist immer noch nicht erkennbar, wie der Konflikt mit Italien (ebenso mit Spanien, Portugal und Griechenland) konstruktiv im Sinne einer längerfristigen Problemlösung angegangen werden soll.
Zusätzlich existiert jetzt der offenkundige Bruch der Kriterien für die Staatsschulden, die die EU als einheitlicher Rechtsraum eigentlich nicht hinnehmen kann. Andererseits bezieht sich die italienische Regierung auf den expliziten Willen des Volkes, so dass auch aus Sicht der Demokratieforschung ein ernster verfassungsrechtlicher Konflikt besteht.
Im Folgenden skizzieren wir demgegenüber die FIDES-Überlegungen, wie eine „echte EU-Reform“ aussehen könnte, die auch europaskeptische Bürger wieder erreichen könnte. Nach unserer Überzeugung wäre eine „große“ Reform mit echter Demokratisierung Europas notwendig, die aber ausdrücklich ohne weitere Integration zusätzlicher Politikfelder auskommt.
Die führenden EU-Politiker sollten aus Sicht einer Europäischen Demokratie tatsächlich die Ängste zahlreicher Bürger ernster nehmen als bislang: es handelt sich um Ängste,
- dass die EU zu stark in nationalstaatliche Souveränität eingreift
- dass folglich zunächst selbstkritisch zu überlegen ist, wie das in der Europäischen Union Geschaffene zukunftsfest gemacht werden kann
- bevor weitere Integrationsschritte umgesetzt werden.
Dieses nach unserer Überzeugung demokratiekonforme Ernstnehmen des Europäischen Souveräns könnte dann bedeuten, dass zum Beispiel EU-Zukunftskonferenzen in den Mitgliedstaaten ergebnisoffen durchgeführt werden. Am Ende des Diskussionsprozesses könnte ein modifiziertes Vertragswerk ratifiziert werden – das unbedingt neue originäre Demokratie-Bausteine enthalten sollte, die zeigen, dass wir es Ernst meinen mit der Demokratisierung Europas.
Europa braucht m.E. einen ernsthaften Dialog mit den teilweise skeptisch gewordenen Bürgern – möglichst außerhalb der etablierten Politik! Macron hat insoweit recht: es geht um eine gewisse Neugründung Europas als Europa der Bürger. Die von Macron außerdem vorgeschlagene Integration weiterer Politikfelder in die EU-Zuständigkeit halten wir jedoch zum derzeitigen Zeitpunkt für kontraproduktiv.
Stattdessen hat FIDES eine politisch umsetzbare Gesamtstrategie im Herbst 2018 entworfen, die grundsätzlich aus Sicht der (ehemaligen) Volksparteien CDU/CSU und SPD her formuliert wurde (als Möglichkeit, die Sachprobleme offensiv anzugehen und wieder die Mehrheit der Bürger hinter sich zu bringen) und die hier nur angedeutet werden kann: vgl. dazu das zweite FIDES-Buch „Was braucht Deutschland? Wie soll es mit Europa weitergehen?“ von Christian Marettek.
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Begrenzung der EU-Bürokratie auf das europarechtlich Notwendige (erkennbar für Bürger); komplette Durchleuchtung der Behörden der EU-Kommission nach verwaltungswissenschaftlichen Grundsätzen mit Aufgaben- und Zweckkritik und Personalbedarfsbemessung
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Rückentwicklung der Anzahl der Abgeordneten im Europäischen Parlament einschließlich des zu umfangreichen Apparates
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Moratorium für weitere Integrationsprozesse, EU-weite Durchführung von öffentlichen Zukunftskonferenzen mit ehrlicher Diskussion der bestehenden politischen Alternativen (weitere Integration der Europäischen Union oder Rückentwicklung zur Europäischen Gemeinschaft?)
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Einführung von direktdemokratischen Volksentscheidungen zu ausgewählten, europarechtlich fundierten Themen, z.B. der EU-Agrarmarktpolitik (in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament, das die zu entscheidenden Alternativen formulieren könnte).
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schrittweise Einführung von demokratisch legitimierten Aufsichtsorganen für die Weiterentwicklung der existierenden EU-Fördertöpfe EGFL, ELER, EFRE, ESF, ESM – in der Endausbaustufe auch der EZB selbst – wobei die Kontrolle nicht über Instrumente der repräsentativen Demokratie bzw. der Regierungskonferenzen sondern über direkt gewählte, fachkundig gemachte Bürgerräte im Sinne des „deliberativen“ Demokratie-Ansatzes erfolgen könnte (deliberative Beratungsorgane können zusammen mit Sachverständigen eine wirklich unabhängige Aufsicht über komplexe, operative Fördergeschäfte erreichen und die Zielerreichung demokratisch legitimiert kontrollieren)
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Zusätzliche europäische Förderprogramme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, vor allem in Italien und Spanien und besonders hinsichtlich der arbeitslosen jungen Erwachsenen („verlorene Generation“); natürlich um im Gegenzug die vertragskonforme Kooperation der neuen italienischen Regierung hinsichtlich Schuldenkriterien usw. zu erreichen (damit auch Verhinderung der weiteren Instabilität der Euro-Zone).
Begründung: Die erneute Hinwendung möglichst vieler Skeptiker zur EU, die durch den weltweiten Trend zurück zum Nationalstaat wie Trumps „America first!“ beeinflusst sind, kann nur erreicht werden, wenn die Ängste der Bürger vor einem Europäischen Superstaat endlich ernst genommen werden, die EU als reformierbar erlebt wird (und als engagiert um den Bürger) und konkrete Schritte zur Demokratisierung Europas eingeleitet werden. Bekanntlich ärgern sich doch auch viele EU-Anhänger über die aufgeblähte Bürokratie der EU-Kommission bzw. das extrem kostspielige Europäische Parlament, so dass die hier vorgeschlagene Begrenzung der EU-Bürokratie auf nahezu vollständige Übereinstimmung der Wahlbürger treffen dürfte.
Bevor eine weitergehende Integration angestrebt werden kann, sollte nach unserer Überzeugung offener in den Mitgliedstaaten diskutiert werden (die EU hat doch eigentlich nichts zu befürchten, wie die wenig gesteuerten Pro-EU-Demonstrationen in vielen Städten 2017/2018 zeigen!) – einfach weil eine Union selbstständiger Staaten schon dann ernsthafte Probleme bekommt, wenn die Sichtweisen größerer Minderheiten der Bevölkerung nicht erkennbar berücksichtigt werden (man denke nur an den französischen Front National oder die polnische Regierungspartei). Die Bürger könnten neues Vertrauen zur europäischen Integration gewinnen, wenn dabei eine klare Reform der Zuständigkeiten zwischen den Nationalstaaten und der EU verfolgt wird.
Daher konzentrieren sich die FIDES-Vorschläge vor allem auf die beiden Politikfelder, bei denen die EU bzw. die Eurogruppe/EZB heute schon dominiert. Konkrete Einschnitte bei den Zuständigkeiten der EU-Kommission (und eine deutliche Verkleinerung des Europaparlaments) einerseits und demokratiekonforme Neuregelungen in Landwirtschaft sowie bei der Währungsunion andererseits könnten vielleicht einen echten Neuanfang in der Akzeptanz Europas ermöglichen.
Unsere Empfehlung: Wir müssen endlich neue demokratische Anfänge wagen – jenseits des gewohnten parteipolitisch ausgerichteten (repräsentativen) Politikbetriebs! Anders kann Europa das Vertrauen seiner Bürger wohl nicht wieder gewinnen. Wie zuletzt Ute Scheub überzeugend erläuterte (Scheub 2017, Demokratie – Die Unvollendete, S. 66f.) könnten repräsentativ ausgewählte Bürger bestimmte Probleme über einen längeren Zeitraum zusammen mit Experten beraten, wodurch qualitativ hochwertige Sachpolitik gefördert würde. Damit ist Scheub in der Nachfolge des US-Politikprofessors James Fishkin vom „Center of deliberate Democracy at Stanford University“. Ergebnis eines solchen Konsultationsprozesses von sachverständig gemachten Bürgern (denen alle Zugänge zu Experten offenstehen und die dafür eine finanzielle Entschädigung bekommen) könnte z.B. eine langfristig ausgerichtete Gesamtstrategie für eine ökologisch und ökonomisch abgefederte „EU-Agrarwende“ entstehen.
In der Endausbaustufe sollte auch die EZB-Überwachung demokratisiert werden, um eine wirkliche Unabhängigkeit der Zentralbank von der Politik zu erreichen. Warum wird nicht versucht, für die zentrale Aufgabe der bürgerorientierten EZB-Überwachung gezielt sachverständige Bürger nach dem Prinzip der deliberativen Demokratie zu suchen und diese schließlich im Wege der Persönlichkeitswahl ohne Parteiangabe zu wählen (z.B. mit Qualifikation Bankfachwirt/Volkswirt, aber mindestens 5 Jahren praktischer Erfahrung)? Auch andere Bausteine der direkten Demokratie sollten in das Gesamtkonzept integriert werden. Es kann allen Beteiligten nur Recht sein, wenn diese so schwierige Aufgabe nicht in Krisensitzungen der Regierungen oder gar in einer anonymen Troika umgesetzt wird – sondern so transparent wie möglich für alle interessierten Bürger.
Das Gute: Demokratiebezogene Reformen Europas sind vergleichsweise risikoarm – weil die Nationalstaaten ja unverändert bleiben und sowieso nur zwei kriselnde Politikfelder Agrar und Währung betroffen sind..
Fazit: Trotz der auch von uns gesehenen Notwendigkeit, die Währungsunion konzeptionell zu vollenden, plädiert FIDES also zunächst für eine grundsätzliche Umkehr der EU-Kommunikation im Sinne des Ernstnehmens der Bürger als Souverän.
Jedenfalls haben wir nicht den Eindruck, dass die europäischen Führer bislang eine hinreichende bzw. überzeugende Kommunikationsstrategie verfolgen. Das Reflexionspapier ist beispielsweise zwar fachlich durchaus stringent aufgebaut und sogar verständlich für Laien. Leider wird nonverbal zuviel Hochglanz einer selbstgewissen EU-Bürokratie kommuniziert und die Kritik ganz vieler Bürger, die sich auch in den niedrigeren Zustimmungsraten der EU insgesamt ausdrückt, kaum glaubwürdig aufgegriffen. Vor allem fehlen ehrliche Ausstiegsalternativen und neue demokratieorientierte Reformansätze.
Eine veränderte EU-Kommunikation würde den Druck deutlich rausnehmen und vielleicht sogar der EU neue positive Impulse bringen.
Gerade weil wir die EU als grundsätzlich erhaltungswürdiges Werk zur Sicherung des Friedens ansehen, müssen doch die EU-Spitzen mehr demokratisches Feingefühl für die Ängste der Bürger zeigen, damit diese nicht mehr so stark in die Arme der Populisten getrieben werden.
Es gehört zu den zentralen Erkenntnissen, die wir im FIDES-Vorstand in den ersten drei Jahren unserer Arbeit neu gewonnen haben (2015-2018):
Eine als lebendig empfundene Demokratie als zukunftsfähige Gemeinschaft so zahlreicher Menschen hängt gar nicht unbedingt davon ab, dass viele Volksentscheide als Elemente direkter Demokratie durchgeführt werden. Sondern davon, ob die Regierenden ihr Verhalten erkennbar am Gemeinwohl und dem Willen der Bevölkerung ausrichten und ernsthaft an den sachpolitischen Themen gearbeitet wird.
Dies gilt von den innerdeutschen Großprojekten bis hin zur EU: häufig reicht schon etwas mehr Sachorientierung und eine selbstkritische Verbesserung der Kommunikation des Spitzen-Managements, um die Bürgerzufriedenheit wieder zu gewinnen und den aus systemischer Sicht so zersetzenden Eindruck der Arroganz der Macht zu verhindern.