Demokratieforschung als Begriff

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von Dr. Christian Marettek (FIDES-Leiter, Stand 24.08.2018)

Bezug auf aktuelle Rechtsordnung

Bevor man den Begriff „Demokratieforschung“ näher konkretisieren kann, müsste aus politikwissenschaftlicher Sicht eigentlich „Demokratie“ selbst definiert werden, was in den Geschichts-, Kultur- und Politikwissenschaften zu zahlreichen Theorien und Demokratiemodellen geführt hat. Vgl. hierzu die fundierte Übersicht des Wiener Demokratiezentrums.

FIDES schlägt demgegenüber eine an den wahrgenommenen Problemen der Bürger orientierten Forschungsansatz vor, der auf eine eigenständige Demokratie-Definion verzichtet.

Stattdessen konzentrieren wir uns auf die wahrgenommenen Probleme der heutigen Demokratie – und welche Lösungsansätze sich anbieten.

Wir beschränken uns damit auf die aktuelle Rechtsordnung.


Einbeziehung der Bürgersicht

Hierbei stützt sich unsere Forschung überwiegend nicht auf eigene Meinungsumfragen, sondern auf eine systematische Auswertung sowohl der veröffentlichten Meinungsumfragen einerseits als auch auf eine systematische Auswertung der veröffentlichten Meinung insbesondere der überregionalen journalistischen Medien (insbesondere ARD, ZDF, DLF, FAZ, spiegel-online, Süddeutsche Zeitung, Welt, zeit-online) sowie ausgewählter Internetforen. Die von FIDES postulierte „Systematische Einbeziehung der Bürgersicht“ in die Forschung wird damit auf quasi-natürliche Weise umgesetzt – genauso praxisnah, wie jeder Spitzenpolitiker am Morgen seine „Lage“ auf Basis der veröffentlichten Meinung ableitet.

Mit dem so angestrebten Bürgerbezug wird übrigens kein „wissenschaftlicher Kniefall“ vor den Populisten umgesetzt. Vielmehr zeigen nicht nur die Erfahrungen der Schweiz, dass durch eine starke, den Bürger überzeugende Sachorientierung durchaus konstruktive Ergebnisse erreicht werden können. Leitidee von FIDES ist die Hypothese, dass wenigstens engagierte und gut informierte Bürger im Regelfall verantwortungsbewusste Problemlösungen finden.

Auch die internationale Forschung zeigt, dass repräsentativ ausgewählte Bürger, die bestimmte Probleme über einen längeren Zeitraum zusammen mit Experten beraten, durchaus qualitativ hochwertige Sachpolitiken erreichen können (= deliberatives Demokratiekonzept).

Vgl. hierzu zuletzt Ute Scheub 2017, Demokratie – Die Unvollendete, München, die auf Forschungsergebnissen des US-Politikprofessors James Fishkin vom „Center of deliberate Democracy at Stanford University“ aufbaut.

 


Systemischer Ansatz

Hintergrund: FIDES beabsichtigt, die systemischen Problemkomplexe der Politik- und Politikerverdrossenheit in der real existierenden parlamentarischen Demokratie – gerade in der Wechselwirkung zwischen Bürger und Politik – zu erforschen. Hintergrund ist die Sorge, dass die Errungenschaften der parlamentarischen Demokratie – insbesondere die im Grundgesetz verbrieften Grund- und Bürgerrechte – nicht auf Dauer bestehen bleiben, wenn die Vertrauensdefizite zwischen den gewählten Politikerinnen und Politiker und der Masse der Bürger mittelfristig nicht vermindert werden können. Gerade das kontinuierliche Schielen nach der Meinung der Bürger führt häufig zu handwerklich immer schlechterer Sachpolitik und im Ergebnis dazu, dass die Bürger ihren Interessenvertretern immer weniger vertrauen. Vgl. dazu ausführlich Marettek 2013 – Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen insbesondere S. 67ff.

Für FIDES ist das psychologische System zwischen den Politikern und Verwaltungsspitzen einerseits und den (übrigen) Bürgerinnen und Bürger andererseits der hauptsächlich interessierende Forschungsgegenstand (und durch welche Verhaltensmuster dieses System profitieren kann). 

Unsere Arbeitshypothese: Alle Seiten dieses komplexen Beziehungsgeflechts können dazu beitragen, sich demokratiekonform zu verhalten (z.B. in gegenseitiger Achtung und vertrauensbildend)! Gerade eine repräsentative Demokratie kann dadurch stark profitieren, wenn sich die Spitzenpolitiker glaubwürdig und authentisch um des Gemeinwohls Willen engagieren.

Zu einer derartigen Demokratieforschung gehören nach unserem Vorschlag daher die folgenden Teilgebiete:

  • Eine problem- und lösungsorientierte Erforschung des öffentlichen Managements – der verschiedenen staatlichen und kommunalen Ebenen mit dem Oberziel: Wie können wirksame Reformen im politischen System (Sicht der Bürger) erreicht werden? Dazu gehört nach der hier vorgeschlagenen Begriffsbildung schließlich eine kontinuierliche bürgerorientierte Agenda- und Werteforschung, die den Rahmen für die Demokratieforschung i.e.S. bildet.
  • Die ebenso praxisorientierte Erforschung ergänzender gesellschaftlicher Problembereiche, die zwar nicht mit dem politischen System zusammenhängen, aber dennoch von den Bürgern mehrheitlich als großes gesellschaftliches Problem wahrgenommen werden, wird hier als Demokratieforschung i.w.S. bezeichnet. Hierzu gehören z.B. die wachsende Anzahl von Burnouts bzw. Unzufriedenheiten mit der Führungskultur in der Wirtschaft genauso wie die großen Umwelt- und Agrarthemen wie naturgerechte Landwirtschaft, CO2-Reduktion und Atomkraft.

Für beide Arten der hier definierten Demokratieforschung dürfte als zentrale Basis die praxisorientierte Erforschung des öffentlichen Managements dienen können. Der Verfasser fungiert ja seit 2012 an anderer Stelle als Mitherausgeber der „Wissenschaftlichen Reihe zum öffentlichen Management“. Diese bislang vierbändige Reihe hat gezeigt, wie wertvoll eine Erforschung des öffentlichen Managements im Sinne der empirischen Managementforschung sein kann, wenn die konkreten Steuerungsprobleme einer bestimmten Gruppe von Spitzenpolitikern; z.B. die der Finanzstaatssekretäre eines Landes lösungsorientiert erforscht werden. Nur so kann nach unserer Überzeugung eine Annäherung an das Phänomen des „Guten Regieren“ gelingen – zugeschnitten auf die konkreten Führungssituationen des bundesdeutschen parlamentarischen Demokratie.


Demokratieforschung im engeren Sinne

Eine charakteristische Frage könnte lauten: Wie könnten die wahrgenommenen Defizite der Bürgerpartizipation („Die da oben machen doch was sie wollen“) durch unmittelbare Reformen am Grundgesetz, dem Parteiengesetz und anderer Teile der öffentlichen Rechtsordnung so verbessert werden, dass die Bürgeridentifikation mit unserem Staat gefördert wird – ohne dass negative Konsequenzen drohen, z.B. politische Instabilität oder Unregierbarkeit. .

Dazu sei ein jüngerer Titel zitiert: Ute Scheub 2017, Demokratie – Die Unvollendete: Ute Scheub übernimmt die jüngste Resonanzforschung von Hartmut Rosa 2016, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, S. 73ff., und beschreibt das Phänomen der Politikerverdrossenheit treffend als Resonanzstörung zwischen den Bürgern und den von ihnen gewählten Politikern in der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes. Ute Scheubs gut begründeten Vorschläge beinhalten außerdem insbesondere zusätzliche konsultative Elemente (ebenda S. 66ff.): repräsentativ ausgewählte Bürger sollten bestimmte Probleme über einen längeren Zeitraum beraten, wodurch qualitativ hochwertige Sachpolitik gefördert würde. Damit ist Scheub in der Nachfolge des US-Politikprofessors James Fishkin vom „Center of deliberate Democracy at Stanford University“


Demokratieforschung im weiteren Sinne

Hierzu gehört die Forschung, die gesellschaftliche Problembereiche, wie sie die Bürger mehrheitlich wahrnehmen, wissenschaftlich erforscht. Es handelt sich dabei zwangsläufig um Forschung unabhängig von den herkömmlichen wissenschaftlichen Disziplinen, also um disziplinübergreifende Erforschung ganzer Politikfelder, wie Integration von Migranten, EU-Agrarmarktreformen, Infrastrukturbereiche u.ä.

Wie könnten Defizite der Sachpolitik in bestimmten Politikfeldern oder Infrastrukturbereichen, z.B. die im Europäischen Vergleich mittlerweile als unterdurchschnittlich wahrgenommene Instandhaltung der Bundesfernstraßen („Schlaglochrepublik“) wirksam verbessert werden?

Häufig werden derartige Politikfelder i.S. von „Agenda 2030“ usw. thematisiert.

Nach Überzeugung von FIDES sind derartige Politikfelder wie Wissenschaftsstandort und Öffentliches Straßenmanagement möglichst ganzheitlich und bürger- bzw. demokratieorientiert zu analysieren. Demokratieforschung heißt in diesem Zusammenhang also nicht nur, welche Regeln unseres politischen Systems reformiert werden sollten. Sondern es geht auch darum wie unsere Demokratie besser ´gelebt` werden kann!

Durch die geringe personelle Kapazität des Vereins kann dieser natürlich nur einen kleinen Beitrag leisten; dementsprechend kann zunächst auch nur ein oder zwei Politikfelder bzw. Infrastrukturbereiche ganzheitlich betrachtet werden. Allenfalls sukzessive können mehrere Bereiche ganzheitlich betrachtet werden.


Umweltforschung als Demokratieforschung im weiteren Sinne

In diese Kategorie der Demokratieforschung gehören auch die umfangreichen Forschungsbemühungen der Umweltforschung, die kaum zu überblicken sind – und die trotz des Spezialitätencharakters in der Demokratie dennoch alle Bürger betreffen. Vgl. exemplarisch die Forschungsbeiträge der Umweltverbände wie BUND. Als konkrete Beispiele seien die aktuellen Beiträge zur EU-Landwirtschaftspolitik zu nennen.

Die disziplinübergreifende Komplexität der umweltpolitischen Demokratieforschung ist besonders außergewöhnlich: derartige Umweltforschung ist nicht nur durch starke Bezüge zu den Naturwissenschaften geprägt, sondern muss – wenn es um konkrete Reformen auf EU-Ebene geht – auch das schwer zu fassende EU-Recht juristisch kompetent einbeziehen, welches bekanntlich durch das Zusammentreffen verschiedener Rechtstraditionen und -kulturen erschwert wird.

Beispiel: FIDES sondiert zur Zeit ein Forschungsprojekt, wie die EU-Förderung der Landwirtschaft im Bereich ELER/LEADER zu so destruktiven Bürokratiefolgewirkungen führt, dass verschiedene Landwirte eher auf die Förderung verzichten.

Dies bedeutet in der Praxis, dass die Bürger neue Frustrationen zu bewältigen haben – und selbst die Landwirte immer unzufriedener mit der EU werden.