Forschung zwischen Politikwissenschaft, VWL, EU-Recht, Psychologie und Betriebswirtschaftslehre

Wirksames öffentliches Management am Schnittpunkt der wissenschaftlichen Disziplinen (Hauptseite)

Von Dr. Christian Marettek (FIDES-Leiter)

Das wichtigste Ziel von bürgerorientierter Demokratieforschung ist nach Auffassung der FIDES-Gründer, dass mit allem wissenschaftlichen Ehrgeiz disziplinübergreifend versucht werden sollte, …

…nur solche Reformkonzepte für unsere Gesellschaft zu erarbeiten, die im Endergebnis jeweils als wirksam eingeschätzt werden können.

Dabei gibt es bislang in Deutschland – anders als in der Schweiz – viel zu wenig Forschung zum öffentlichen Management (egal ob als Verwaltungswissenschaft oder in einer Nachbardisziplin) überhaupt – und erst recht zu wenig Wirksamkeitsforschung!

Wenn man die reale Managementsituation einer bestimmten Gruppe von öffentlichen Führungskräften – wie z. B. die der Personengruppe der Minister/Staatssekretäre in Finanzministerien – erforschen will, werden zahlreiche wissenschaftliche Fachdisziplinen berührt, so dass eine Einordnung nur schwer möglich ist.
Neben der empirisch fundierten Managementforschung als Teil der Betriebswirtschaftslehre und/oder der Psychologie (Arbeits-, Organisationspsychologie) kommen folgende wissenschaftlichen Disziplinen in Frage, wie sie in der Tabelle – differenziert für die unterschiedlichen Situationen in Deutschland und USA – dargestellt sind:

Wissenschaftliche Subdisziplinen(entnommen aus Marettek 2013, Wirksames Management von öffentlichen Einrichtungen, S.142).

Unbestritten dürfte sein, dass bedeutende wissenschaftliche Durchbrüche auch in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften fast immer mehrere wissenschaftliche Teil-Disziplinen berühren.

Dies zeigt beispielsweise auch die Liste der Nobelpreise für Wirtschaftswissenschaften (richtig: Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften der Schwedischen Reichsbank), die einzelne Preisträger aufweist, die von der Ausbildung Psychologen waren bzw. sind, zuletzt Daniel Kahneman (Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 2002). Wenn man genauer hinschaut, dann gelangen gerade den transdisziplinär interessierten Ökonomen bedeutende Durchbrüche (vgl. die vorzüglichen Links der Wikipedia, die jeweils verlinkt wurden):

  • Herbert A. Simon (Preisträger 1978) studierte mathematische Sozialwissenschaften, promovierte über Entscheidungsfindungsprozesse in Organisationen, trat 1952 eine Stelle als Politologe an der Illinois University of Chicago an, wobei er parallel Kontakte zu Ökonomen (u.a. Milton Friedman) aufbaute und Vorlesungen in Wirtschaftswissenschaften hörte. Seit 1949 baute er gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern am Carnegie Institute of Technology einen Aufbaustudiengang für Industrieverwaltung auf – also etwas was in Deutschland heute zur Managementlehre bzw. BWL und/oder Organisationspsychologie gehört. Simon entwickelte später noch erste IT-Systeme zum maschinellen Problemlösen zur Unterstützung bei Entscheidungen als Vorläufer der Informatik bzw. Künstlichen Intelligenz. Außerdem war er Mitglied der Kommission, die für die Koordination des Marshall-Plans verantwortlich war, sowie Berater der US-Präsidenten Johnson und Nixon. Simon blieb also auch seinem politischen Interesse treu.
  • John Muth (kein Nobelpreisträger, aber Begründer der Theorie rationaler Erwartungen, vgl. Ike Brannon 2006, Remembering the Man Behind Rational Expectations, Regulation Spring 2006, S. 18-22). John Muth veröffentlichte das Grundlagenwerk „Rational Expectations and the Theory of Price Movements“ 1961 in Econometrica, was zunächst fast unbeachtet blieb. Muth hatte zuvor zunächst Maschinenbau (Industrial Engineering) in St. Louis und ab 1952 Mathematische Wirtschaftswissenschaften (Mathematical Economics) an der Universität Carnegie Tech in Pittsburgh studiert, wo er auch Professor wurde und an der eine ganze Reihe von späteren Nobelpreisträgern geprägt wurden.
  • Robert Lucas (Preisträger 1995) übertrug die von Muth entwickelte Theorie der rationalen Erwartungen in die Makroökonomie. Interessant: Lucas erwarb zunächst einen Bachelor für Geschichte bevor er den Master und die Promotion in Ökonomie bestand. Auch hier findet sich die Transdisziplinarität der Forschung in späteren Jahren: Das nach ihm benannte Lucas-Paradoxon besteht in der Frage, warum nicht mehr Kapital von Ländern mit entwickelter Wirtschaft in Entwicklungsländer fließt, obwohl dies nach der klassischen Theorie geschehen sollte, da dort das eingesetzte Kapital pro Arbeitskraft geringer ist.

Ursächlich für das Phänomen, dass herausragende Forschung auch heute noch fast immer disziplinäre Grenzen überschreiten muss, um der komplexen Wirklichkeit gerecht zu werden – einfach, weil die Wirklichkeit – was der Mensch als gesellschaftliches Geschehen erleben kann – so komplex ist wie sie ist. Zentral dürfte sein: gute Forschung muss sich kontinuierlich der erlebbaren Welt stellen, sonst wird der Forscher zum Schreibtischtäter. Nach meiner Einschätzung war diese Tatsache in den „Aufbaujahren“ von Ökonomie und Psychologie noch selbstverständlich – und geriet später bisweilen in Vergessenheit. Es handelt sich m.E. jedoch um ein Dauerproblem jeder Forschung, das im Grunde nur dadurch bewältigt werden kann, dass der Forscher tatsächlich für mehrere Disziplinen Interessen entwickelt.

 


Forschung zwischen Politikwissenschaft, VWL, EU-Recht, Psychologie und Betriebswirtschaftslehre

Die von FIDES e.V. beabsichtigte Demokratieforschung, die Lösungsstrategien zu den wichtigsten gesellschaftlichen Problemen der Bürger erarbeiten will, liegt fachsystematisch zwangsläufig zwischen Politikwissenschaft, dessen Subdisziplin der Verwaltungswissenschaften einerseits und dem EU-Recht andererseits sowie den wissenschaftlichen Disziplinen VWL, Psychologie und Betriebswirtschaftslehre. Interessante Beiträge der einzelnen  wissenschaftlichen Fachdisziplinen, die ähnliche Forschungsansätze beinhalten, erläutern wir auf den folgenden Seiten.

Wie der Leser sieht, ist in unserer Darstellung das EU-Recht – genauso wie das zusätzlich zu betrachtende Öffentliche Recht (Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten, hilfsweise hauptsächlich von Deutschland und Frankreich) – noch nicht näher betrachtet (i.Vorb.).