Führungssituation der Oberbürgermeisterin

Managementmodell für eine Großstadt

  • Um sich der realen Führungsarbeit der Personengruppe der Oberbürgermeister der deutschen Großstädte anzunähern wird hier anhand eines (fiktiv konstruierten) Fallbeispiels einer Oberbürgermeisterin modellhaft dargestellt, welche Verantwortlichkeiten verwaltungsbezogen und politikbezogen bestehen
  • welche Ziele die Beispiel-Oberbürgermeisterin verfolgen möchte und
  • in welchem Beziehungsgeflecht sie ihre Aufgaben erfüllen kann/muss.

Fiktiv zur Gewährleistung von Vertraulichkeit und Anonymität – aber inhaltlich auf Basis langjähriger Erfahrungen der Beraterteams. (Vgl. Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 43ff.)

Aufgaben der Oberbürgermeisterin

Mit dem in mehreren Fällen weiter entwickelten Managementmodell sollen hauptsächlich folgende Fragen beantwortet werden:
Inwieweit ist die psychologisch ausgerichtete Managementliteratur in der Lage, die komplexe Lebenswirklichkeit einer Oberbürgermeisterin abzubilden?

  • Welche praktischen Herausforderungen stehen im Mittelpunkt einer am Gemeinwohl orientierten Führung der Stadt?
  • Welche Optionen hat eine Führungskraft in der Praxis des deutschen öffentlichen Dienstes, um tatsächlich positive Entwicklungen im Hinblick auf die Ziele der Leistungsfähigkeit und der Wirtschaftlichkeit „seiner“ Verwaltung anzustoßen?
  • Welche Empfehlungen können aus der in Deutschland noch kaum gelehrten jüngeren Managementliteratur gewonnen werden, die aus Sicht der öffentlichen Führungskraft als hilfreich eingeschätzt werden können?

Eine Oberbürgermeisterin erfüllt zweifellos umfangreiche Aufgaben an der Schnittstelle des politischen und des verwaltungsbezogenen Managements. Sie muss sowohl die Stadtverwaltung, den Stadtrat als auch die jeweilige Parteigliederung möglichst wirksam führen. Dies verdeutlicht folgende Abbildung:

managementauftrag OB

Annäherung an die Alltagswirklichkeit der Oberbürgermeisterin

Gemäß der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung gilt: die Oberbürgermeisterin …

  • führt den Vorsitz im Rat und Hauptausschuss, ohne jedoch deren Mitglied zu sein.
  • setzt als Vorsitzende des Rates die Tagesordnung fest und leitet die Verhandlungen.

Damit die Oberbürgermeisterin ihrer Verantwortung gegenüber dem Rat und den Bürgern gerecht werden kann, muss sie das Handeln der Verwaltung maßgeblich gestalten können:

  • sie bereitet die Beschlüsse des Rates vor und führt diese aus (§ 62 Abs. 2 Gemeindeordnung NRW).
  • sie entscheidet, ohne dass der Rat ihr insoweit Vorgaben machen kann, über die Geschäftsverteilung und die innere Organisation der Gemeindeverwaltung
    (§ 62 Abs. 1 Gemeindeordnung NRW); lediglich den Geschäftskreis der Beigeordneten kann der Rat festlegen (§ 73 Abs. 1 Gemeindeordnung NRW).
  • als Leiterin der Verwaltung hat sie das Recht, den Beschäftigten der Verwaltung fachliche Weisungen zu erteilen; sie ist also deren Vorgesetzte.

Die Oberbürgermeisterin hat also die Arbeit des ehrenamtlichen Stadtparlaments zu steuern sowie die großstädtische Verwaltung zu führen. Eine derartige Stadtverwaltung umfasst bei der angenommenen Größe von 300.000 Einwohnern etwa 3500 bis 4000 Bedienstete.

Hinzu kommen aber noch die zahlreichen Eigenbetriebe, Eigengesellschaften und Beteiligungen, für die die  Oberbürgermeisterin auch die politische Verantwortung hat und die im Rahmen des „Konzerns Stadt“ professionell zu führen sind (zusätzlich vielleicht 7000 Kollegen), so dass insgesamt tatsächlich ein Konzern mit rund 11000 Menschen zu führen ist! Dadurch kann die OB-Führungsaufgabe in ihrer Komplexität und Schwierigkeit wohl unstrittig mit der eines Vorstandsvorsitzenden eines größeren gewerblichen Konzerns verglichen werden.

Der Managementalltag der Beispiel-Oberbürgermeisterin ist aber nicht nur durch die Aufgabenfelder Verwaltung und Stadtrat geprägt. In der parlamentarischen Demokratie bestehen bei einer Oberbürgermeisterin fast immer noch parteiorientierte Managementaufgaben. So ist die Beispiel-Oberbürgermeisterin Vorsitzende des Kreisverbandes einer Volkspartei und zugleich stellvertretende Landesvorsitzende (vom Verfasser getroffene Annahmen für das Managementmodell).

Das Nebeneinander von politischem und verwaltungsbezogenem Management ist also prägend für die Situation der Beispiel-Oberbürgermeisterin. Aus philosophischer Sicht handelt es sich um
(mindestens) zwei verschiedene Rationalitäten des Denkens und Handelns, die für Politik und Verwaltung teilweise grundlegend voneinander abweichen, die folgendermaßen dargestellt werden können:

Integration von Politik

(Abbildung stammt ursprünglich von Kuno Schedler/ Isabella Proeller 2006, New Public Management, S. 64. Vgl. Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 47.)

Die beiden Kreise repräsentieren die beiden Welten von Politik und Verwaltung. Und man spricht nicht ohne Grund von unterschiedlichen Rationalitäten: Diese Welten sind jeweils mit unterschiedlichen Denkmustern, Begrifflichkeiten und Sanktions- bzw. Honorierungsmechanismen ausgestattet: dies bedeutet, was politisch rational ist, kann auf die Verwaltung irrational wirken und umgekehrt.
Die Abbildung verdeutlicht, dass eine Übersetzung der politischen Rationalität in die Verwaltungsrationalität notwendig ist: Politische Vorgaben müssen in führungsrelevante Ziele zerlegt und umgekehrt das Ergebnis der Verwaltungsproduktion hinsichtlich politischer Aspekte eingeordnet werden.
Was das allgemeine Nebeneinander von verwaltungsbezogenen und politischen Zielen für die konkreten Managementsituationen bedeutet, die eine Oberbürgermeisterin bewältigen muss, wird in den nächsten Abschnitten anhand von konkreten Führungsproblemen diskutiert, die der Praxis nachgestaltet sind (im Buch Wirksames Management für öffentliche Verwaltungen folgen dann die Fallstudien ab S. 51 ausführlicher):

  • Zunächst wird in der Fallstudie anhand des Regierungsprogramms der frisch gewählten OB der Begriff „Gemeinwohl“ praxisnah erörtert.
  • Anschließend werden die Zielsetzungen einer erfolgsversprechenden Amtsführung der Beispiel-OB abgeleitet. Dabei wird festgestellt, dass die oben skizzierte „doppelte Rationalität“ von Politik und Management für die vertiefte Analyse der Führungssituation noch nicht ausreichend sein dürfte.

Alltag der Top-Manager nach Managementliteratur passt genau zur Beispiel-Oberbürgermeisterin

Für die Beispiel-Oberbürgermeisterin dürfte auch die Zusammenfassung von Steinmann/ Schreyögg zum typischen Arbeitsalltag der Top-Manager gelten:[1]

  • Der Arbeitsalltag ist kontinuierlich durch die Behandlung unterschiedlichster Problemstellungen geprägt. Dementsprechend ist der Arbeitstag zerstückelt und es besteht fast immer erheblicher Zeitdruck.
  • Die meiste Zeit wird mit telefonischen Gesprächen oder mit Sitzungen verbracht. Nur ein kleiner Teil dieser Gespräche besteht aus klaren Anweisungen oder konzeptionellen Vorgaben. Ein größerer Zeitanteil nimmt das Stellen von Fragen ein, das Zuhören und das Geben von Auskünften.
  • Inhaltlich geht es fast immer darum, dass komplexe und unsichere Sachverhalte professionell bearbeitet werden müssen.
  • Die Führungskraft muss also täglich zahlreiche Entscheidungen unter Unsicherheit treffen und hierzu die Komplexität der Probleme versuchen zu reduzieren.

[1]        Vgl. Steinmann/ Schreyögg 2005, Management, Wiesbaden S. 15-16. Vgl. ausführlicher Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 62f.


Ebenso die empirisch ermittelten Rollen der Top-Manager nach Henry Mintzberg

Die Beispiel-Oberbürgermeisterin erfüllt (natürlich) auch folgende Managementrollen (sollte sie jedenfalls, wenn sie ihren Job gut macht!): (Vgl. Marettek 2013 Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen S. 63)

Vernetzer/Koordinator (Liaison): hierzu gehören die externe und interne Netzwerkarbeit, die von zentraler Bedeutung für die Akzeptanz und Durchsetzungskraft der OB sind.

Radarschirm/Beobachter: für die Managementtätigkeit der Beispiel-Oberbürgermeisterin ist von großer Bedeutung, dass sie sich über Stimmungen in der Belegschaft – genauso wie im Stadtrat und der Bevölkerung zuverlässig informiert

Sender: meint u.a. die offizielle Verbreitung interner Dienstanweisungen und handlungsleitender Werte (z.B. zur Prävention von Korruption).

Sprecher, Verhandlungsführer: Die Vertretung der Interessen der Stadt z.B. beim Innenministerium oder in Verhandlungen mit einer anderen Stadt sind selbstverständlich genauso Kern-Aufgabe der OB wie die entsprechenden Sprecher-Rollen in der Öffentlichkeit und im Rat.

Innovator: Initiierung von Reorganisationsprozessen wie in Fall 2, Einrichtung neuer Arbeitsgruppen zur Lösung bestimmter Probleme, von Großprojekten (Fälle 1 und 3) oder von Großveranstaltungen.

Problemlöser: Wenn bei einem wichtigen Projekt wie z.B. dem Großbauprojekt „D 21“ eine Verzögerung oder Kostenüberschreitung abzeichnet (vgl. Fall 1) oder auch Führungsdefizite im nachgeordneten Management auftreten (Fälle 3-4) – verlangt die Bedeutung des Problems, dass sich die OB selbst um Problemlösung kümmert – häufig zusammen auf mit den Rollen „Koordinator“ und „Sprecher“ oder/und „Verhandlungsführer“ (z.B. Verhandlungen mit Baufirmen, die für die Verzögerung verantwortlich sind).

Ressourcenzuteiler: es existieren mehrere Zuteilungsbereiche; Was ist wichtig (Prioritätensetzung)? Wer bekommt welche Aufgaben und Kompetenzen (Organisation)? Für was setzen wir welches Budget an? Was wird ausgewählt unter mehreren Handlungsmöglichkeiten (Entscheidung)? Herzstück der OB-Tätigkeit!

Die von Henry Mintzberg 2010, Managen S. 66ff. wesentlich geprägten Managementrollen (die er als „ganze Pille des Managerberufs“ bezeichnete, die immer geschluckt werden müsse) passen also eindeutig zum Arbeitsalltag der Beispiel-Oberbürgermeisterin. Entsprechendes gilt auch für die zusammenfassende Darstellung der Tätigkeiten (Mintzberg 2010, Managen S. 71; Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen S. 64:

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