Großprojekte, Beispiel: Stadtmitte am Fluss Saarbrücken

Bürgerorientierte Planung von Großprojekten

Aus Sicht der Bürger ist es immer wieder unverständlich, warum der Staat bei den Großprojekten so versagt. Großprojekte wie der Flughafen BER oder die Hamburger Elbphilamonie (jetzt endlich abgeschlossen, allerdings mit erheblichen Mehrkosten) und ganz besonders so durchgreifende Projekte wie Stuttgart 21 tragen nach unserer Überzeugung dazu bei, dass die Bürger sich schlecht verwaltet fühlen. Schließlich sind es ihre mühsam erarbeiteten Steuermittel, die all zu oft nicht sinnvoll ausgegeben werden.

Hierzu hat FIDES als saarländisches Institut die bisherige Fachdiskussion zu dem größten saarländischen Großprojekt der letzten 10 Jahre ausgewertet: Stadtmitte am Fluss als vom Land und der Stadt geplantes Großprojekt. In einem Tunnel soll die A620 verlagert werden, um in der Mitte der Landeshauptstadt die Lebensqualität (hohe Lärm- und Feinstaubbelastung) deutlich zu verbessern.

Die aktuelle Fachdiskussion wurde Anfang 2017 durch eine Initiative des Bürgerforums e.V. neu angestoßen.

FIDES hat dazu Stellung bezogen: Impulse Demokratie leben 2017/1

Die aktuelle Situation im Stadtzentrum verdeutlichen am Besten die folgenden Abbildungen:

Blick von der „Alten Brücke“ auf das Regierungsviertel auf der gegenüberliegenden Saarseite. Links beginnen die Saar-Wiesen und der Saarbrücker Staden.

Blick vom Regierungsviertel zwischen Bismarkbrücke und Wilhelm-Heinrich-Brücke in Richtung Saarwiesen.

Blick von der „Alten Brücke“ in Richtung Saarbrücker Schloss.

Aus städtebaulicher Sicht, genauso wie aus verkehrspolitischer Sicht (Bundesverkehrswegeplan identifiziert hier einen Engpassfaktor) besteht unbestritten massiver Handlungsbedarf. Um die wirtschaftliche Bedeutung des Stadtzentrums von Saarbrücken zu skizzieren: Die Bahnhofstraße in Saarbrücken ist die meist frequentierte Einkaufsstraße westlich des Rheins (in Deutschland), mit Ausstrahlung auf große Teile von Lothringen und dem nördlichen Elsass.

Es dürfte unbestritten sein – da sind sich die Beobachter einig: Die gesamte Region würde durch eine städtebauliche Aufwertung und Verschönerung der Saarbrücker Stadtmitte profitieren. Die Attraktivität der ganzen Region könnte positiv beeinflusst werden – immerhin konkurriert Saarbrücken mit den historisch besser erhaltenen Nachbarstädten Trier, Luxemburg, Metz und Nancy.

FIDES Kommentar zum Saarbrücker Tunnelprojekt „Stadtmitte am Fluss“

von Dr. Christian Marettek

Überblick über das Großprojekt „Stadtmitte am Fluss“

Saarbrücken hat anerkannt eine hohe Lebensqualität. Als kleinste Landeshauptstadt bietet die Stadt so ziemlich alles, was auch ehrgeizige Bürger brauchen – in landschaftlich schöner und dünn-besiedelter Umgebung, wenn man an das Biosphärenreservat Bliesgau denkt (5-10 Minuten auf der A 620 Richtung Osten vom Saarbrücker Stadtzentrum entfernt).

In diesem Umfeld ist aus demokratietheoretischer Sicht interessant, wie das Saarland und die Landeshauptstadt gemeinsam seit über 10 Jahren darüber nachdenken, ob die, mitten durch die Stadt führende, A620 (mit täglich rund 90.000 Nutzern, bislang ohne Lärmschutzlösung) in einen Tunnel, ähnlich der Lösung von Düsseldorf (Verlagerung der B1 parallel zum Rhein) verlegt werden soll.

Das besondere Problem ist im Saarbrücker Fall, dass die Saar, die parallel zur A620 fließt, von Zeit zu Zeit Hochwasser führt, sodass in diesem Fall die A620 als Rententions-Fläche für das Hochwasser dienen muss, sodass in diesem Fall die sog. Hochwasserumfahrung (4-spurig) ebenfalls parallel zur Saar verläuft. Ergebnis ist ein sehr hohe Betonanteil im absoluten Stadtzentrum und sehr hohe Lärm- und Feinstaubbelastung. Stadt und Land haben daher vor einigen Jahren damit begonnen einen hochwasserdichten Autobahntunnel unter der heutigen Hochwasser-Umfahrung zu planen. Der Bund hat, als Eigentümer der A620, Mittel von über 80 Millionen € bewilligt, die im Rahmen der Generalsanierung der A620 für Lärmschutz-Lösungen zur Verfügung stehen. Demgegenüber haben sich die etablierten Parteien seit Jahren dafür ausgesprochen, die viel teurere Tunnellösung anzustreben, die auf Kosten von etwa 500 Millionen € geschätzt wird.

Politische Kalküle

Seit 10 Jahren wird der Tunnel propagiert, ohne dass aber die Bürger eine Änderung sehen. Der Lärm belastet insbesondere den viel besuchten Stadtpark „Am Staden“, sowie die angrenzenden Wohngebiete in unveränderter Weise. Es ist klar, dass das kleine, hochverschuldete Land den Tunnel nicht alleine finanzieren kann, andererseits will man den Tunnel aber auch nicht unmöglich machen, indem man jetzt eine Lärmschutzüberbauung bauen würde. Die etablierten Parteien verfolgen offenbar den Tunnel mit „halbem Herzen“.

Ergebnis ist: Es passiert gar nichts. Hintergrund: Insbesondere die beiden großen Parteien wagen es offenbar nicht, den Bürger tatsächlich mit einer Großbaustelle zu konfrontieren, weil sie im Grunde wissen, dass die geplante Tunnellösung nicht nur wegen der Großbaustelle, sondern wegen den bei der projektierten Lösung wegfallenden Anschlussstellen, weder in Saarbrücken noch im Saarland mehrheitsfähig sind. Der langjährige politische Beobachter kommt zum Ergebnis, dass eine Veränderung der Situation offenbar für alle beteiligten zu risikobehaftet ist. Die gilt auch deshalb, weil die Situation in der Saarbrücker Innenstadt die Bürgerzufriedenheit des gesamten Saarlandes beeinflusst.

Die Bürger sind bislang nicht gefragt worden, ob sie den hochwasserfesten Tunnel, so wie geplant, überhaupt haben wollten. Es gibt begründete Indizien, dass die Konsequenzen des langjährigen Großbauprojektes – insbesondere der dauerhafte Wegfall der zentralen Autobahn-Anschlussstellen „Wilhelm-Heinrich-Brücke“ und „Luisenbrücke“ sowohl in Saarbrücken, als auch in dem insgesamt betroffenen Saarland, mehrheitsfähig sind.

Durch das gesamte Verhalten der Politik wird die Glaubwürdigkeit der Amtsträger eingeschränkt. Bedauerlicherweise bleibt die Lärm- und Feinstaubbelastung unverändert. Übrigens in einem Ausmaß, das nach unseren Schätzungen gemäß Bundes- und Europarecht gesetzwidrig sein dürfte (Es sind keine aktuellen Lärmpegel oder Feinstaubmesswerte veröffentlicht).

Demokratie-konforme Problemlösung

Bedauerlicherweise gibt es bislang wenig Forschung zu Großprojekten und deren demokratiekonforme Bewältigung. Hintergrund ist die Heterogenität der Interessen, was man an dem Beispiel von Saarbrücken recht gut (vereinfacht) zusammenfassen kann. Die betroffenen Bürger der Innenstadt schimpfen natürlich über den Lärm und die Feinstaubbelastung. Die Bürger der gesamten Großregion schätzen aber Saarbrücken vor allem deshalb, weil man viel kürzer als in anderen Balanceräumen ins absolute Zentrum Autogerecht fahren kann. In Sonntagsreden wird über die „nicht zeitgemäße, autogerechte Stadt“ geschimpft. Die Bürger der Großregion lieben Saarbrücken genau deshalb. Die Anschlussstelle „Wihelm-Heinrich-Brücke mit Karstadtparkhaus“ ist ein Bundesweit seltener Zugang zu einem Stadtzentrum.

Aus diesem Grund dürften die obigen Kalküle der Parteien durchaus zutreffen: Weder innerhalb der Stadt Saarbrücken, noch innerhalb des Regionalverband Saarbrücken mit 360 000 Menschen, noch innerhalb des Saarlandes mit 1 000 000 Einwohnern ist die radikale Tunnellösung mit Wegfall der innerstädtischen Anschlussstelle mehrheitsfähig. Dabei ist der Wegfall der innerstädtischen Anschlussstellen bislang in der politischen Diskussion nicht aufgegriffen worden.

Planungszellen als möglicher erster Schritt

Der Professor Peter C. Dienel entwickelte in den 70er Jahren an der Bergischen Universität Wuppertal die sogenannten „Planungszellen“. In dieser Herangehensweise werden aus der betreffenden Region zufällige Bürgerinnen und Bürger ausgewählt und zu Treffen geladen, bei denen ihnen Expertise vermittelt wird, sie Diskussionen führen können und mit Politik- und Wirtschaftsvertretern reden. Ziel ist es, ein Gutachten zu formulieren, mit der dann weiter gearbeitet werden kann.
Diese Planungszellen werden seit den 70er Jahren erfolgreich durchgeführt.

Weiterführend

FIDES überlegt in dem Zusammenhang ein kleineres Forschungsprojekt durchzuführen, was zum aktuellen Moment gesagt werden kann:

Gerade solche Großprojekte und deren Ausgestaltung sollten in der politischen Öffentlichkeit ehrlich diskutiert werden. Dies bedeutet, dass man die „autogerechte Stadt“ und die damit entstandene Lebensqualität offen anspricht und die Bürger der Region über die konkrete Ausgestaltung des Großprojektes mitreden können. Wie Stuttgart 21 teilweise vorbildlich gezeigt hat, lässt sich mit einer regionalen Abstimmung durchaus eine Befriedung erreichen.

Aber zurück nach Saarbrücken. Mittelfristig ist der Status-Quo genauso schädlich, wie wenn die Tunnellösung einfach gebaut werden würde, weil beide Alternativen die Bürgerzufriedenheit negativ beeinflussen würden. Eine demokratiekonforme Problemlösung bedeutet, dass eine Volksabstimmung im Saarland über mehrere Varianten des Großprojektes erfolgen sollte.
Dabei sollte nicht nur die bislang skizzierte, „radikale“ Tunnellösung zur Alternative gestellt werden, sondern auch eine bereits jetzt finanzierbare Lärmschutzlösung unter Beibehaltung der gelegentlichen Überflutung.

Die Projektgruppe

Um das Thema Großprojekte anzugehen hat sich eine neue Projektgruppe zusammengefunden:

Projektgruppe Großprojekte