Politik

Verwandte Ansätze der Politikwissenschaften

Von Dr. Christian Marettek (FIDES-Leiter)

Überblick

Im Folgenden wird über Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Forschungskonzeptionen zwischen bestimmten politikwissenschaftlichen Strömungen und dem öffentlichen Management berichtet – ohne Anspruch auf eine auch nur annähernde Vollständigkeit und im Bewusstsein, dass der entsprechende wissenschaftliche Diskurs wohl noch am Anfang steht.
Bestimmte jüngere Entwicklungen in der Politikwissenschaft, die im Folgenden skizziert werden sollen, lassen sich nach Wertung des Verfassers als eine gewisse Annäherung an die Managementsicht interpretieren. Vgl. Christian Marettek 2016, Steuerungsprobleme großer Universitäten in Zeiten der Exzellenzinitiative, S. 133.
Dabei handelt es sich um verschiedene Strömungen, die sich teilweise überlappen:

  • Politikfeldanalyse
  • Governance-Forschung
  • Forschungsgruppe Regieren.

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Politikfeldanalyse (Policy-Analyse)

Die Politikfeldanalyse verdankt ihre Entstehung einem Paradigmenwechsel nach dem Zweiten Weltkrieg, der in den amerikanischen Sozialwissenschaften als die „behavioristische Revolution“ bezeichnet wird und von dem Psychologen John B. Watson begründet wurde. Demgegenüber dominierten bis weit in die 60er- und 70er-Jahre hinein legalistisch-institutionalistische Fragestellungen in der Politikwissenschaft; die ältere Forschung fragte also danach, welche Funktionen die politischen Institutionen in der Demokratie haben (gemäß ihrer
verfassungsgemäßen Satzung und ihrem normativen Auftrag).
Wie die Politikwissenschaftler Volker Schneider (Konstanz) und Frank Janning (Hagen) 2006, Politikfeldanalyse, S. 27. Politikfeldanalyse fragt danach,

• was politische Akteure tun,
• warum sie es tun und
• was sie letztlich bewirken.

Die Politikfeldanalyse begreift die Institutionen des politischen Systems neben bestimmten situativen und ideellen Faktoren – genauso wie das öffentliche Management – als historisch wahrgenommene Rahmenbedingungen für politische Entscheidungen. Insoweit spricht die Politikfeldanalyse vom akteur- und strukturzentrierten Ansatz der Forschung.
An dieser Stelle ist die Politikwissenschaft offenkundig recht nahe beim Ansatz des öffentlichen Managements, welches die konkrete Managementsituation in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses stellt (jeweils bezogen auf eine Gruppe von Spitzenpolitikern). Vgl. Marettek 2016, Steuerungsprobleme (a.a.O.) S. 134.
Interessanterweise war die Policy-Forschung in den USA am Anfang vom Ziel der Politikberatung durch interdisziplinäre Problemlösungsvorschläge geprägt, während diese Forderung in der Folge teilweise als unrealistisch eingeschätzt wurde.


Governance-Forschung

Lars Holtkamp, Professor für Politikwissenschaft an der FernUniversität Hagen, formuliert:
„Politische und gesellschaftliche Koordination wird danach als Zusammenspiel von Hierarchie, Netzwerk, Verhandlung und Wettbewerb interpretiert.“ Holtkamp 2009, Governance-Konzepte in der Verwaltungswissenschaft. Neue Perspektiven auf alte Probleme von Verwaltungsreformen, in: polis Nr. 67/2009, hg. vom Institut für Politikwissenschaft, FernUniversität Hagen 2009, http://www.fernuni-hagen.de/polwiss.

In dem 2009 veröffentlichten Aufsatz von Holtkamp (vgl. ebenda S. 20-21, Marettek 2016, Steuerungsprobleme a.a.O. S. 136) existiert eine interessante Parallele zur empirischen Managementforschung:

  • Zu den Perspektiven der Verwaltungsreformen erläutert Holtkamp zunächst das Scheitern des (kommunalen) Neuen Steuerungsmodells (NSM), weil Kommunalpolitik,
    Querschnittsämter und Kommunalaufsicht nicht dauerhaft und verlässlich die für Anreize und Wettbewerb notwendigen Spielregeln und Kontrollstrukturen garantieren könnten.
  • Bezogen auf die nordrhein-westfälischen Kommunen sei demgegenüber eine steigende Bedeutung hierarchischer Steuerung zu bilanzieren.
  • Abschließend beschreibt Holtkamp, wie nach seinen Empfehlungen das Reformleitbild weiterentwickelt werden sollte:
  • Relativ große Umsetzungschancen könnte ein Reformleitbild haben, das „inkrementalistische Routinen unter einer starken Verwaltungsführung verfeinert, die Kommunikationsangebote zwischen Bürgern und Verwaltung ausbaut und versucht zur gemeinschaftlichen Koproduktion zu motivieren“.
  • Ein solches Reformvorhaben würde sich als „pragmatisches Management“ neben der Fortschreibung inkrementalistischer Routinen darauf konzentrieren, zunächst besondere Handlungsbedarfe angesichts der Ziele und präferierten Handlungsfelder des direkt gewählten Bürgermeisters für einen überschaubaren Zeitraum grob zu identifizieren.

Eine ähnlich weite Begriffsbildung der Governance-Forschung verwenden auch die österreichischen Wissenschaftler (und Praktiker) Prof. Dr. Helfried Bauer (u. a. Universität Innsbruck, zuvor Leiter des KDZ Zentrum für Verwaltungsforschung), Peter Biwald (u. a. Universität Krems) und Dr. Elisabeth Dearing (Abteilungsleiterin Österreichischer Rechnungshof, zuvor Bundeskanzleramt, Lehrbeauftragte u. a. FH Campus Wien) 2011, Zusammenfassung und Schlussfolgerungen, in: Gutes Regieren, Konzepte, Realisierungen, Perspektiven, hg. von H. Bauer, P. Biwald, E. Dearing, redaktionell bearbeitet von A. Steffek, Wien, Graz 2011, Band 13 der Reihe „Öffentliches Management und Finanzwirtschaft“, hg. vom KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung mit Unterstützung des Österreichischen Städtebundes und des Bundeskanzleramts, S. 667–689.

Sie beenden das Buch „Gutes Regieren“ unter anderem mit der Feststellung, dass ein wesentlicher Fortschritt darin liege, dass der ökonomisch
ausgerichtete NPM-Ansatz in ein System von Elementen „zeitgemäßen Regierens“ eingebettet werde, welches meist mit Public Governance bezeichnet werde (vgl. ebenda S. 668)

Helfried Bauer und Elisabeth Dearing 2011, Public Management und Governance: Globale Konzepte im nationalen Kontext, in: Gutes Regieren a.a.O. S. 27–72. beziehen zudem das Public-Governance-Konzept in meines Erachtens gelungener Weise auf das in Österreich ähnlich geltende „politische Staatsversagen“, welches durch Reformstau und Politikverdrossenheit gekennzeichnet sei, und identifizieren als wichtigste strategische Ziele der Public Governance: (ebenda S. 53ff.)

  • die Erhöhung des Vertrauens der Bevölkerung in das demokratische Regieren
  • eine höhere strategische Gestaltungskraft des Regierens
  • die verstärkte Zusammenarbeit mit Interessengruppen und sozialen Netzwerken
  • eine verstärkte Bürgerbeteiligung
  • eine kohärente Wirkungsorientierung durch Koordination der verschiedenen
    staatlichen Ebenen.


Forschungsgruppe Regieren

Erfreulicherweise finden sich seit etwa einer Dekade vermehrt auch politikwissenschaftliche Veröffentlichungen, die ausdrücklich Steuerungsprobleme diskutieren:

„Die institutionellen und prozeduralen Voraussetzungen verbesserter politischer Steuerung, Planung und Strategieformulierung erleben eine politikwissenschaftliche Renaissance“, formulieren Martin Florack und Timo Grunden (Universität Duisburg-Essen) in dem 2011 erschienenen Sammelband „Regierungszentralen“, der die Staatskanzleien der Länder und das Bundeskanzleramt analysiert.

Dieser Sammelband ist von der „Forschungsgruppe Regieren“ (Leiter ist Prof. Karl-Rudolf Korte, Universität Duisburg-Essen) geprägt, die ihrerseits auf den Arbeiten des emeritierten Prof. Klaus König (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer [DHV Speyer]) aufbaut. Klaus König hatte bereits 2002 formuliert, dass die Wissenschaft immer die Person (also die Persönlichkeit des jeweiligen Spitzenpolitikers) und die jeweilige institutionelle Organisation (also z. B. eine konkrete Staatskanzlei einschließlich aller informellen Aktivitäten) betrachten sollte.
Nach Wertung des Verfassers ist die Politikwissenschaft hier dicht bei den Forschungszielen, wie sie auch in der neuen Reihe zum öffentlichen Management angestrebt werden. Vgl. Christian Marettek 2013, Wirksames Management für öffentliche Einrichtungen, S. 150.

 


Reputationsstudie

In der Reputationsstudie der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft werden folgende Universitäten als jeweils in den bestimmten Bereichen als führend bezeichnet (ohne Verwaltungswissenschaften): Plätze in Klammern (Vgl. Rundbrief Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft Herbst 2007, S. 154.)

  • Politische Theorie, Politische Philosophie, Ideengeschichte: HU Berlin (1), LMU München (2), U Frankfurt (3)
  • Wiss.theorie, Methoden der Politikwiss.: U Mannheim (1), U Konstanz (2), U Mainz (3)
  • Vergleichende Politikwiss./ Systemvergleich: U Heidelberg (1), WZB (2), U Mannheim (3)
  • Innenpolitik, System der BR Deutschland: U Heidelberg (1), U Halle-Wittenberg (2), FU Hagen/ U Mannheim (3)
  • Politische Soziologie: U Mannheim (1), WZB (2), FU Berlin/ U Mainz (3)
  • Internationale Beziehungen: FU Berlin (1), U Bremen (2), U Frankfurt (3).

 

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