Vertiefung zur Euro-Währungskrise – Das Beispiel Italien
Staatsverschuldung der Euro-19 Länder – Ranking nach Prozent des BIP
(Basis: statistische Daten 2016)
Staatsverschuldung der Euro-19 Länder – Ranking nach Prozent der Staatseinnahmen
Staatsverschuldung der Euro-19 Länder – Ranking nach Defizit bzw. Überschuss pro Einwohner (in Euro)
Das Beispiel Italien (Stand 30.11.2018)
„Man kann über den aktuellen Konflikt der EU mit Italien moralisierend diskutieren und die angebliche Maßlosigkeit der Italiener geißeln. Man kann diesen Konflikt aber auch als das Ergebnis stürmischer und unüberlegter Vergemeinschaftungsaktionen in Europa interpretieren, die dem europäischen Einigungswerk schweren Schaden zugefügt haben.
Italiens Staatsschulden sind schon lange hoch, in den italienischen Banken schlummern schon lange riesige Bestände luftiger Kreditforderungen. Die EU-Kommission hätte die Banken schon vor Jahren schärfer regulieren und die Staatsschulden begrenzen müssen, tat es aber nicht. Dass sie sich jetzt auf einmal über eine Defizitquote von 2,4 Prozent aufregt, liegt daran, dass neue euroskeptische Parteien als Konkurrenz zum alten Establishment in Italien aufgetaucht sind. Ihnen gegenüber will man jetzt ein Exempel statuieren. Nach der Weigerung der italienischen Regierung, das geplante Haushaltsdefizit zu verringern, könnte die EU-Kommission hohe Geldstrafen verhängen. Italien will diese Strafen aber nicht bezahlen, sondern sucht den offenen Konflikt. Eine gütliche Lösung wird gar nicht mehr angestrebt. Italiens Regierung wurde gewählt, um radikalere Schritte einzuleiten. Und sie wird von der Bevölkerung daran gemessen, ob sie die Erwartungen erfüllen kann.
Die Geschichte Italiens im Euro ist eine Geschichte der öffentlichen Kredite und Bürgschaften, der Gemeinschaftsgarantien und Finanzhilfen, mit deren Hilfe das Land über Wasser gehalten wurde. All diese Hilfen haben wie Drogen gewirkt, welche die Finanzmärkte und die Bevölkerung beruhigten. Doch sie haben keinen Beitrag geleistet, Italiens strukturelle Probleme zu lösen. Vielmehr haben sie Italiens Wettbewerbsfähigkeit zerstört und die Schuldenabhängigkeit des Landes vergrößert.
Schon Anfang der 1990-er Jahre war der italienische Staat fast konkursreif. Die Staatsschulden lagen bei 120 Prozent des BIP, und Italien musste auf seine zehnjährigen Staatsanleihen mehr als 12 Prozent Zinsen zahlen. Die Zinslast war unerträglich, der Kollaps des Staates war abzusehen.
Für den italienischen Staat war der Euro zunächst ein Segen. Die Gemeinschaftswährung ersparte Italien so viel Zinsen, dass es die Mehrwertsteuer zum Ausgleich hätte streichen können. Hätte Italien die eingesparten Zinsen verwendet, um seine Schulden zu tilgen, läge die Schuldenquote heute deutlich unter 60 Prozent. Doch Italien handelte anders.
Der Staat verausgabte nicht nur die Zinseinsparung, sondern nutzte auch noch die Gelegenheit, sich fortlaufend mehr zu verschulden. Der doppelte Ausgabenschub bedeutete gesamtwirtschaftliche Nachfrage, welche die Preise in Italien schneller ansteigen ließ als im Rest der Eurozone. Von 1995, als die Euro-Einführung beschlossen wurde, bis zum Ausbruch der Lehman-Krise vor zehn Jahren ist Italien inklusive einer anfänglichen Lira-Aufwertung gegenüber Deutschland um rund 40 Prozent teurer geworden, wenn man den Preisindex der selbsterzeugten Güter zu Rate zieht, auf den es bei Wettbewerbsfragen ankommt. Kein Land kann eine solch gigantische „reale Aufwertung“ ohne Schaden überstehen.
Die Überteuerung war so lange verkraftbar, wie die Kapitalmärkte bereit waren, Italiens wachsendes Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren. Als sich dann aber die Kapitalmärkte nach der Lehman-Pleite verweigerten, war die vermeintlich gute Zeit vorbei, und Italien kam unter die Räder. Der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit trat schonungslos zutage. Die Arbeitslosigkeit stieg auf etwa 12 Prozent, und die Jugendarbeitslosigkeit erreichte temporär Werte von über 40 Prozent. Netto, nach Abzug der Neugründungen, ging ein Viertel der Firmen des verarbeitenden Gewerbes zugrunde. Verständlich, dass die Nerven der Italiener heute blank liegen und sie von der EU nichts mehr wissen wollen: Nur noch 43 Prozent von ihnen wollen in der EU bleiben.“
Die Regierung in Rom pokert. Seit Wochen schon währt der Streit mit der EU-Kommission in Brüssel um den italienischen Staatshaushalt. Doch die Koalitionsregierung von linkspopulistischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechtsnationalistischer Lega weicht keine Handbreit zurück. Auch wenn sie damit Strafmaßnahmen der EU provoziert: Schon am Mittwoch könnte in Brüssel der „Blaue Brief“ nach Rom abgehen. Es droht ein Bußgeld von bis zu 3,4 Milliarden Euro, das sind etwa 0,2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Italiens.
Doch Innenminister und Vizeregierungschef Matteo Salvini von der Lega macht sich auch noch einen Spaß daraus, die „Bürokraten in ihrem Brüsseler Bunker“ zu verhöhnen. Dort säßen, so Salvini, „hartnäckige Schreiberlinge“, die „alle 15 Minuten einen kleinen Brief“ an Rom verfassten. Und weil Italiener höfliche Menschen seien, würden diese Schreiben auch alle freundlich und fristgemäß beantwortet.
Aber in der Sache bleibt Rom hart. Die Sache, das ist die geplante Neuverschuldung im kommenden Haushaltsjahr in Höhe von 2,4 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Das ist nach Ansicht der EU-Kommission zu viel und verstößt gegen den Stabilitätspakt der Euroländer. Denn Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, ächzt schon jetzt unter einem Schuldenberg von fast 2,3 Billionen Euro. Das entspricht rund 133 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Relativ mehr Schulden als Italien hat in der Eurozone nur der Krisenstaat Griechenland mit 177 Prozent. Aber in absoluten Zahlen macht die Schuldenlast Griechenlands nur etwa ein Siebtel der italienischen aus. Gemäß Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU ist eigentlich nur eine Schuldenquote von 60 Prozent zulässig. Aber daran halten sich heute allenfalls die fiskalpolitischen Musterknaben unter den 19 Ländern der Eurozone, die baltischen Staaten etwa. Auch Deutschland liegt mit einer Schuldenquote von gut 71 Prozent über dem Grenzwert. Frankreich leistet sich eine Quote von 96 Prozent und plant vorerst keinen signifikanten Abbau.“