Europäische Sicherheit

Überblick über den aktuellen Stand der Europäischen Sicherheitspolitik

Zu einem Zeitpunkt, als der französische Präsident im November 2018 eine gemeinsame Europäische Armee forderte, während die Bürger in den östlicher gelegenen EU-Staaten des Baltikums und Polens sich wieder verstärkt vor russischen Aggressionen (ähnlich wie in der Ukraine erlebt) fürchten, erscheint es notwendig zu sein, einen Gesamtüberblick zu geben, der inhaltlich im Wesentlichen von den Ergebnissen der Münchner Sicherheitskonferenz von Februar 2018 geprägt ist.

„Als Reaktion auf die Annexion der Krim hat die Nato ihre Einsatzbereitschaft an der Ostgrenze erhöht. Bei einem russischen Angriff stünde sie dennoch mit deutlich unterlegenen Kräften da.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nato-Ostflanke: In dramatischer Unterzahl, Artikel vom 08.12.2018

Der Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz 2018 (Munich Security Report) bringt eine differenzierte Sicht der aktuellen Machtverhältnisse an die Oberfläche (wird hier zusammengefasst).

Die abgebildeten Graphiken drücken ganz klar aus, wie die militärische Situation der NATO im Vergleich zum russischen Militärriesen aussieht: Die NATO hätte bei einem Frontenkrieg keine Chance. Die Gründe für dieses Ungleichgewicht wurden durch die exzellente Analyse der RAND-Corporation gut dargelegt:

In den Jahren nach dem Kalten Krieg haben die Bodenstreitkräfte der NATO stark an Größe abgenommen, der Fokus wurde von intensiver herkömmlicher Kriegsführung immer weiter weggesetzt. Während sich die NATO stark auf stabilitätsfördernde Operationen und leichtere Geschütze konzentriert, die gut in Gebieten wie Afghanistan eingesetzt werden können, setzte Russland weiterhin eher auf das Gefecht der verbundenen Waffen, welches Mobilität, Feuer und Züge fördert, um größere Operationen mit verbundenen Waffen zu führen. Diese Strategie erweist sich gerade für Russland als äußerst vorteilhaft: Durch die Fähigkeit, Streitmächte und Geschütze innerhalb Russlands schnell und gut zu transportieren kombiniert mit der hohen Dichte an A2AD-Zonen hat Moskau die Möglichkeit, Streitkräfte gegen und in angrenzende Länder einzusetzen.

„Anti-Access Area Denial (A2AD) ist die Fähigkeit, gegnerischen Einheiten zu Lande, zu Wasser und in der Luft den Zugang und/oder die Bewegungsfreiheit in einem ausgewählten Operationsgebiet mit militärischen Mitteln zu versagen, mindestens aber zu erschweren.“ konflikteundsicherheit.wordpress.com, Beitrag vom 22.11.2017

Im letzten Jahrzehnt war insgesamt eine hohe Verbesserung der Qualität und Quantität der russischen Truppen festzustellen, sowohl in Soldatenzahl als auch im Einsatz modernisierter Waffen und großmaßstäblichen Einsatzübungen.

Russland hat zudem bereits die Fähigkeit erwiesen, durch die interne Infrastruktur betriebsbereite Truppen von auswärts zu versammeln. Das bedeutet einen klaren Vorteil für das Generieren von Kampftruppen in Anfangsphasen einer Krise. Ein weiterer Vorteil stellt die enorme Dichte der besten russischen Boden- und Lufttruppen im Westlichen Militärdistrikt Russlands, der an die militärisch recht schwachen NATO-Mitgliedsstaaten Estland, Lettland und Litauen grenzt. So stellt Russland insbesondere für diese Staaten eine ernstzunehmende Bedrohung dar. (vgl. RAND-Corporation, Assessing the Conventional Force Imbalance in Europe: Implications for Countering Russian Superiority)

Nach der Annexion der Krim sind andere baltische Staaten und Polen in Angst versetzt, denn Russlands Absicht ist unmissverständlich. Durch die nicht endende Aufrüstung, und das fortschreitende Eindringen ins Baltikum verbreitet das russische Verhalten nicht nur Angst, sondern fordert die NATO heraus: Die bedrohten Staaten sind auf die Hilfe der Bündnispartner angewiesen.

Während über zwei Jahrzehnte die Verteidigungshaushalte der meisten NATO-Staaten für Einsparungen genutzt wurden, ist in den letzten Jahren (seit den Georgien-, und Ukraine-Krisen) wieder eine eher umgekehrte Tendenz feststellbar. Angeregt auch durch Trumps kompromisslose Verhandlungsführung hat die Investitionsbereitschaft europäischer Staaten für Verteidigungsausgaben stark zugenommen. So haben sich die französischen und die deutsche Landesregierung bereiterklärt, gemeinsam die nächste Generation Kampfflieger zu entwickeln. Die Europäische Kommission hat den Europäischen Verteidigungsfonds ins Leben gerufen, um Recherchen und Anschaffungen für Verteidigungszwecke zu unterstützen.

Abb. 1: Anteil vom BIP ausgewählter NATO-Mitgliedsstaaten zu Verteidigungszwecken (orange) gegenüber des Anteils für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (blau) (nach Munich Security Report 2018, S. 16)

Enttäuschend ist aus FIDES-Sicht sicherlich, dass es der europäischen Politik (damit auch der deutschen Regierung unter Angela Merkel) nicht gelang, bei der Ukrainischen Revolution das Wiederaufleben des Ost-West-Gegensatzes zu verhindern, so dass jetzt wieder begründet höhere Ausgaben für Verteidigung gefordert werden.

Wegen dieses grundsätzlich unbefriedigenden Befundes – das Europäische Gemeinwohl als oberste Zielgröße wäre ohne diese Verteidigungsausgaben höher – wird hier untersucht, wie es dazu kam.

Ausführlich haben wir das Beispiel der Ukraine als FIDES-Projekt diskutiert und erläutert, wie es mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Basis der veröffentlichten Medien zum bedauerlichen Wiederaufflackern des Ost-West-Gegensatzes kam – obwohl die handelnden Politiker es offenkundig versuchten zu verhindern.

Mittlerweile wird immer deutlicher, dass in Russland viele Nationalisten ein Wiederentstehen eines Sowjetunion ähnlichen Reiches befürworten – eine post-westliche Weltordung, ein vergrößertes Machtgebiet in Richtung Europa, was im Rahmen der vertraglich eingegangenen Verpflichtungen EU-Europa und die NATO nicht tolerieren können.

Doch was geschieht, wenn die NATO und Russland Flanke an Flanke aufeinandertreffen? Wenn Russland so weit vordringt, dass es zu einem Frontenkrieg kommt? Bisher sieht es schlecht aus für Europa, die russische Wehrkraft, insbesondere die Landstreitkräfte sind denen der NATO weitaus überlegen. Die einzige unmittelbare Chance ist die Luftwehr der NATO, die recht gut ausgebaut ist, die Landstreitkräfte müssten enorm aufgestockt werden, um mit den russischen mithalten zu können.

Erste Budgeterweiterungen könnten schon dadurch erreicht werden, dass die Staatsregierungen der EU-28 und Norwegen die 2%-Richtlinie für den Anteil am BIP für Verteidigungszwecke erfüllen (vgl. auch Abb.1). Allein wenn alle EU-Mitgliedsstaaten diese Richtlinie erfüllen, könnten die Gesamtausgaben für Verteidigungszwecke der Staaten um ca. 60% (144 Billionen USD) statt wenn der Beitrag der einzelnen Länder gleichbleibt nur um 10% (30 Billionen USD) zunehmen (vgl. Abb.2).

Abb. 2: Gesamtausgaben für Verteidigungszwecke (nach Munich Security Report 2018, S. 18)

Die folgende Grafik veranschaulicht abschließend, welchen Effekt eine solche Budgeterweiterung haben kann, indem sie Kosten für zusätzliche Operationen aufzeigt.

Abb. 3: Notwendige Aufrüstungsinvestitionen für zusätzliche Missionen

Fazit: Baltische Staaten und Polen sind in Angst versetzt. Die von Russland bedrohten Staaten sind auf die Hilfe der Bündnispartner angewiesen.

„Die Nato muss in Polen das tun, was sie in allen anderen Ländern getan hat. […] Es gibt Basen in Großbritannien, Spanien, Deutschland, Italien und der Türkei. Das sind sichere Plätze. Doch da, wo Basen wirklich nötig wären, gibt es sie nicht.“ (Zitat des polnischen Außenministers Sikorsi, spiegel.de)

Die aktuelle Situationslage sieht schlecht für die NATO aus, doch mit großen zusätzlichen Investitionen lassen sich die Chancen vielleicht verbessern. Dennoch sollte auf die Unterstützung der USA nicht gebaut werden: Nach Trump und einigen Stimmen der US-amerikanischen Regierung braucht man Russland gegen den IS-Staat.

Trotz allem ist die Situation nach der Ansicht von RAND-Experten nicht aussichtslos: Vorsichtsmaßnahmen sollten in angreifbaren Gebieten genommen werden, um die kritische Lage zu entschärfen und eine stabile Sicherheitsbeziehung zwischen allen NATO-Mitgliedsstaaten und Russland zu gewährleisten und so sich anbahnenden Krisensituationen weitestgehend aus dem Weg zu gehen. Sollten weitere Kriege stattfinden, sind die Chancen der NATO zwar vorhanden, aber dennoch erschreckend klein.