Warum trägt Wissenschaft nicht quasiautomatisch zur Weiterentwicklung der Demokratie bei?

Warum trägt Wissenschaft nicht quasiautomatisch zur Weiterentwicklung der Demokratie bei?

Es handelt um wissenschaftsimmanente Phänomene, die hier nur angedeutet werden können.

Hauptprobleme sind die Eigendynamiken der verschiedenen wissenschaftlichen Fachdisziplinen einerseits und die geringe umsetzungsorientierte Qualität zahlreicher Gesetze andererseits, bei denen infolge politischer Formelkompromisse die Wirksamkeit leidet (meist wegen unzureichender verwaltungswissenschaftlicher Fundierung).

Die dahinter stehenden wissenschaftstypischen Problemkreise werden in den folgenden Abschnitten näher erläutert.

 


Problemkreis 1: Komplexität des Forschungsgegenstandes „Demokratie und ihre Probleme“

„Demokratie“ ist ein buntschillernder Begriff, der auch zu zahlreichen wissenschaftlichen Theoriebildungen geführt hat;  vgl. hierzu die gute Zusammenstellung des Wiener Demokratiezentrums.

Zur Vereinfachung und Konkretisierung bezieht FIDES den Forschungsgegenstand „Demokratie und ihre Probleme“ stets auf die reale Situation unserer Gesellschaft, wie sie in der Gegenwart von der Mehrheit der Bürger erlebt wird.

Daher wird hier vereinfachend gesagt als Synonym für die in der Gegenwart von der Mehrheit der Bürger erlebten Probleme der Gesellschaft verstanden (Bundesrepublik Deutschland als Teil der Europäischen Union), wie sie durchaus in Meinungsumfragen ermittelt werden können.

Daraus folgt: Der Forschungsgegenstand ist durch die Abhängigkeit von den individuellen Einschätzung der wahlberechtigten Bürger zwangsläufig extrem heterogen, widersprüchlich und zeitlich instabil. Entsprechendes gilt für die „klassischen“ Probleme jeder Forschung: Interessengeleitetheit, wechselseitige Beeinflussung und unzureichende Aktualität als immanente Grenzen jeder Forschung.

Natürlich könnte in diesem Umfeld die Meinung vertreten werden, dass daher ernsthafte Forschung kaum möglich erscheint. Die FIDES-Gründer sind demgegenüber davon überzeugt, dass viel mehr ernsthafte Demokratieforschung möglich und notwendig wäre, als die bislang geleistet wird. Dazu zwei Beispiele ungelöster Probleme, die wesentlich zum Aufkommen der AfD in Deutschland geführt haben:

  • Wie könnten faire Regelungen für einen Austritt eines Landes aus der Währungsunion aussehen, die auch vor dem Bundesverfassungsgericht haben haben? (Bekanntlich hat erst ein idealistisches Mitglied des Britischen Oberhauses auf eigene Kosten einen Forschungswettbewerb ausgeschrieben, wie zum Zeitpunkt der Euro-Krise 2011/2012 (wegen Griechenland) ein Euro-Austritt in gerechter Form gelingen könnte.
  • Umgekehrt: Warum gibt es immer noch so wenig glaubwürdige Begründungen (einschließlich entsprechender Statistiken), was der Euro z.B. Deutschland tatsächlich gebracht hat? (Arbeitshypothese: Erhaltung/Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit für deutsche Produkte durch vergleichsweise günstige Währung).

FIDES ist davon überzeugt, dass das zunehmende Auftreten populistischer Strömungen gerade durch glaubwürdige, wissenschaftlich fundierte Überzeugungsarbeit bewältigt werden kann.

Gerade das ernsthafte sachorientierte Feilen an Grundsatzfragen, wie „Was ist eigentlich Gemeinwohl?“ „Was bringt Deutschland der Euro?“ ist nach unserer Überzeugung unverzichtbar und wird in ergebnisoffener Form viel zu wenig geleistet.

 


Problemkreis 2: Dominanz der wissenschaftlichen Disziplinen

Die Dominanz und Eigendynamik der unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, die wir an anderer Stelle näher betrachten, verhindert u.E. häufig, dass ausreichend transdisziplinär geforscht wird.

Der Wissenschaftsrat hat als höchstes Wissenschaftsgremium Deutschlands im Jahr 2015 ein Positionspapier durch eine Arbeitsgruppe erstellen lassen unter dem Titel: Zum wissenschaftspolitischen Diskurs über große gesellschaftliche Herausforderungen WR Drs. 4594-15. 

Interessant: Der Wissenschaftsrat erläutert im einleitenden Abschnitt „HISTORISCHE EINORDNUNG DES DISKURSES ÜBER GROßE GESELLSCHAFTLICHE HERAUSFORDERUNGEN“, dass diese Diskussion vom übergeordneten Problem der Klimaforschung ausging und fährt dann fort (ebenda S. 8):

„Spätestens seit der Jahrtausendwende lässt sich weltweit eine Diskussion darüber beobachten, wie der Klimawandel und dessen Folgen durch verstärkte oder verbesserte Forschungsförderung oder durch gezielte Veränderungen im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft besser bewältigt werden könnten. Gegenstand dieser Diskussion war nicht nur die Frage geeigneter förder- und innovationspolitischen Strategien und Instrumente, sondern es entwickelte sich auch eine grundsätzliche Debatte um alternative Forschungsformate, die ausdrücklich auf ein neues Verständnis des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft abzielen. Diese Debatte weist Berührungspunkte zu den kontroversen Diskussionen um Nachhaltigkeitswissenschaft, Modus-2-Forschung Transdisziplinarität und gesellschaftliche Transformationsprozesse auf.“

In den Kontext dieser Debatte sind nach Auffassung des Wissenschaftsrats auch das Gutachten „Welt im Wandel“ des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Um-weltveränderungen (WBGU) und die Buchpublikation „Transformative Wissenschaft“ von Schneidewind und Singer-Brodowski 2013, Transformative Wissenschaft. Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem, Marburg, einzuordnen, die beide wesentliche Veränderungen im Wissenschaftssystem und in der Forschungspraxis fordern. Der Wissenschaftsrat zieht dann eine Brücke zum angelsächsischen Sprachraum, wenn er ergänzend feststellt (ebenda S. 9):

„Als wegweisend für den aktuellen wissenschaftspolitischen Diskurs über Große gesellschaftliche Herausforderungen gelten zudem die von der Gates-Foundation 2003 vorgestellten Grand Challenges in Global Health, wobei challenges hier als sehr spezifische technologische Engpässe verstanden werden.“

 Demgegenüber umschreibt die Bill and Melinda Gates-Foundation pragmatischer, nicht nur technologisch (und durchaus FIDES-nah) den Begriff der Grand Challenges:

Grand Challenges is a family of initiatives fostering innovation to solve key global health and development problems.


Problemkreis 3: Demokratieforschung ist mehr als die Erforschung der Steuerungsprobleme

In der von FIDES e.V. herausgegebenen Reihe „Edition Demokratie leben“ soll für das an den Steuerungsproblemen der Spitzenpolitikern orientierte Forschungskonzept des Öffentliches Managements weiterhin uneingeschränkt Platz sein. Dabei wird jedoch anders als in obiger Reihe nicht vorrangig eine wissenschaftliche Veröffentlichung angestrebt, sondern ein allgemeinverständliches Sachbuch (mit möglichst wenig wissenschaftlichem Apparat).

Zusätzlich können auch noch folgende Themen unter dem Schlagwort der Demokratieforschung bearbeitet werden:

  • Entwicklung gesellschaftlicher Einstellungen und Werte, einschließlich der Strategien zur Veränderung (Was sollte die/der Einzelne tun?)
  • Intersubjektive Bewertung gesellschaftlicher Errungenschaften wie z.B. Was ist das Gemeinwohl einer Stadt?
  • wirksame Integration von benachteiligten Gruppen und von Migranten (Integrationsforschung)
  • Einbeziehung der wichtigsten Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie, Pädagogik, Führungs- und Konfliktforschung
  • ebenso des öffentlichen Rechts (einschließlich EU-Recht) und der
  • Agrar-/Umweltforschung bzw. der angewandten Geowissenschaften.

 

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