Innerparteiliche Demokratie und deren Probleme (Stand 02.04.2022)

Von Manuel Hipfel und Dr. Christian Marettek

Überblick

Die Arbeitsgruppe unseres Vereins hat bekanntlich die abgelaufene Legislaturperiode 2017-2021 sorgfältig nach den größten Problemen der im Bundestag vertretenen Parteien – und ihre offenkundige Bewertung durch die BürgerInnen – analysiert.

Im Hinblick auf die innerparteiliche Demokratie wurden deutliche Unterschiede zwischen den (ehemaligen) Volksparteien Union und SPD einerseits und Bündnis 90/ Die Grünen andererseits festgestellt. Hierbei wirkt sich sicherlich auch die digitale Revolution aus, also eine Generationenfrage, wie IT-affin die BürgerInnen sind.

Die Partei Bündnis 90/ Die Grünen, die zusammen mit der FDP in der Bundestagswahl vom 26.09.2021 die Mehrheit der Erstwähler angesprochen hat, experimentiert schon seit Jahren mit elektronischen Antrags- und Diskurs-Formaten. hier sind die verschiedenen Instrumente des „Grünen Netzes“ bzw. die zugehörigen Apps wie „Antragsgrün“ zu nennen.

Dass aber auch diese modernen Diskussionsformate nicht verhindern, dass Landesverbände in Krisen kommen können, zeigt beispielsweise der saarländische Landesverband von Bündnis 90/ Die Grünen, der es aufgrund innerparteilicher Konflikte nicht geschafft hatte, eine gesetzeskonforme Landesliste zur Bundestagswahl aufzustellen (siehe dazu ausführlich unten).

Ähnliche Probleme haben offenbar auch andere kleinere Landesverbände (die nicht von BerufspolitikerInnen dominiert werden, Arbeitshypothese FIDES) wie die der AfD in Bremen (vgl. Weser-Kurier vom 05.08.2021, abgerufen am 28.09.2021) und der Linken im Saarland, wo dessen Fraktionsvorsitzender im Landtag Lafontaine, sogar von der Wahl der eigenen Partei anlässlich der  Bundestagswahl abgeraten hatte. Nachdem der saarländische Vorsitzende der Linkspartei Lutze dennoch den Wiedereinzug in den Bundestag am 26.09.2021 geschafft hat, kündigt Lafontaine folgerichtig seinen Rückzug für 2022 an (vgl. TAZ, abgerufen am 28.09.2021).

Welche Probleme innerdemokratischer Willensbildung prägten in den letzten Jahren die (ehemaligen) Volksparteien?

Die Alt-Parteien Union und SPD hatten demgegenüber hauptsächlich Probleme in der letzten Legislatur auf Ebene der Bundesvorsitzenden: während die Willensbildung auf Landesebene abgesehen von der CDU Thüringens offenbar ohne größere Konflikte gelang.

Hypothese: die im Regelfall von BerufspolitikerInnen dominierten Landesverbände von Union und SPD erledigen entsprechend professionell die meisten Entscheidungen. Die derzeitigen Hauptprobleme der innerparteilichen Demokratie sind nach unserer Einschätzung eher zuviel durch BerufspolitikerInnen geprägt. Demgegenüber existieren zu wenig glaubwürdig um der Sache Willen engagierte „NormalbürgerInnen“ in CDU, CSU und SPD. Die unteren Parteigliederungen werden fast ausschließlich durch BerufspolitikerInnen dominiert. Das bedeutet eine hohe Professionalität im Rahmen des „Zusammenraufens“ in den Orts-, Kreis- und Landesverbänden. Eine Situation wie z.B. im Saarländischen Landesverband von Bündnis 90/ Die Grünen (das Fallbeispiel erläutern wir unten ausführlich), dass aus Gründen des internen Machtkampfs keine Landesliste zur Bundestagswahl zustande kam, lässt sich bei den Alt-Parteien CDU, CSU und SPD kaum vorstellen.

Innerparteiliche Hauptprobleme von CDU und SPD waren in der vergangenen Legislaturperiode vor allem die glaubwürdige Neubesetzung der Bundesvorsitzenden-Funktion, wo eine deutliche Unsicherheit festgestellt werden, die auch zu schmerzhaften Wahlniederlagen führte.

In den Alt-Parteien ist außerdem eine große Unsicherheit festzustellen, wie die innerparteiliche Willensbildung überhaupt organisiert werden sollte. Ergebnis dieser Unsicherheiten (die von den WahlbürgerInnen bestraft wurden), war ein offenkundig dysfunktionaler Personalverschleiß, der nicht selten durch aufgeblähte Kleinigkeiten ausgelöst wurde. Der Rückblick auf die letzte Legislatur zeigt in beiden Alt-Parteien deutliche systemische Schwächen der innerparteilichen Demokratie:

  • Bei der SPD war es insbesondere der Wechsel von Gabriel zu Schulz und dann im Jahrestakt von Schulz weiter zu Nahles und deren Ablösung binnen Jahresfrist in Verbindung mit dem offenkundigen Vertrauensentzug seitens BürgerInnen und SPD-Mitglieder (das wurde weithin als Zusammenbruch des traditionellen Charakters der Volkspartei SPD bewertet)
  • Bei der CDU/CSU konnten ähnliche Entwicklungen etwa um 5 Jahre verspätet beobachtet werden: nach der aufwändigen ersten Kandidatenkür im Winter 2018/2019 über regionale Zukunftskonferenzen mit Kramp-Karrenbauer (AKK), Merz und Spahn. Nach Wahl von AKK konnte sich die Union – auch Dank der Beliebtheit von Merkel – bis zur Thüringen-Wahl stabilisieren; der AKK-Rücktritt erfolgte ebenfalls nach nur etwas mehr als einem Jahr am Abend der Thüringen-Wahl. Allerdings ist jetzt im Herbst 2021 nach der verlorenen Bundestagswahl ein ähnlicher Personalverschleiß bei der CDU zu beobachten, wie zuvor bei der SPD. Die Wahl von Laschet zum Kanzlerkandidaten (erneut war Merz, dann Söder knapp unterlegen) hatte die Union im Wahlkampf belastet. Aufgrund einiger Ungeschicklichkeiten wird das schlechte Ergebnis überwiegend Laschet angelastet. Binnen Jahresfrist wird erneut ein neuer CDU-Vorsitzender gesucht; im Grunde ist man sich nur einig, dass es nicht weiter mit Laschet „geht“. Wie die CDU ihren Chef wählen soll, ist bei Redaktionsschluss unklar; im Grunde ist eine sehr ähnliche Unsicherheit zu beobachten wie bei der SPD in der Zeit des Übergangs von Schulz auf Nahles usw. 

Faszinierend ist dagegen zu sehen, dass alleine durch das besonders überzeugend professionelle Auftreten von Olaf Scholz als SPD-Kanzlerkandidat – über viele Wochen und schließlich auch in den TV-Triells 2021 (weitgehend jenseits politischer Programme) zum Wahlsieg bei der Bundestagswahl 2021 und zu einem gewissen Wiederbeleben der fast schon tot geglaubten Partei SPD führte.

Ganz andere Probleme hatten einzelne Landesverbände der kleinen Parteien.

Fallbeispiel Saarland: Bündnis 90/ Die Grünen

Bundesweite Beachtung erhielten die innerparteilichen Konflikte des saarländischen Landesverbandes, wo offenbar eine so hohe innerparteiliche Konfliktintensität existierte, dass es nicht gelang, eine satzungskonforme Landesliste zur Bundestagswahl 2021 einzureichen.

Bevor wir für dieses Problem einen eigenen Lösungsansatz erarbeiten wollen, sollen die Positionen der beiden innerparteilichen Lager so objektiv wie möglich dargestellt werden:

  • das Lager um Hubert Ulrich, den ehemaligen Landesvorsitzenden,
  • das Lager um das „Grüne Bündnis Saar“, hierin hatten sich rund 120 Parteimitglieder zusammen geschlossen.
  • Im Interesse der Transparenz: die Verfasser sind seit 2021 Parteimitglieder im OV Halberg (Wohnort) und wurden vom ersten Tag intensiv an über den innerparteilichen Konflikt informiert. Der OV Halberg stand seit Jahren mehrheitlich kritisch zu Hubert Ulrich und hatte und hat sich in der Folge intensiv im Grünen Bündnis engagiert. Die Verfasser haben im Grünen Bündnis überdurchschnittlich glaubwürdige und kompetente PolitikerinInnen kennen lernen können. Die Verfasser haben allerdings zu jedem Zeitpunkt auch transparent gemacht, dass sie das Lagerdenken grundsätzlich ablehnen und für sich in Anspruch nehmen, auch Hubert Ulrich und seine MitstreiterInnen positiv gegenüber zu stehen. Dementsprechend haben wir auf beiden Seiten vertrauliche Hintergrundgespräche geführt und zugleich transparent gemacht, dass wir für die „Versöhnung der Lager“ arbeiten wollten (was jedoch leider insgesamt als bislang gescheitert anzusehen ist).

Konfliktanalyse: Die Sicht des Lagers um Hubert Ulrich

Hauptsächlich wurde beklagt, dass auf Hubert Ulrich eine „regelrechte Hetze“ seitens des konkurrierenden Grünen Bündnis Saarland veranstaltet werde.

Diese persönliche Hetze konkretisierte sich in mehreren Schiedsgerichtsverfahren, insbesondere

  • dem (erfolgreichen) Einspruch gegen die Wahl der Delegierten des Ortsverbandes Saarlouis (Vorsitzender ist Hubert Ulrich) für den Landesparteitag am 20.06.2021 wegen Verfahrensmängel mit der Konsequenz, dass die an diesem Landesparteitag gewählte, von Ulrich angeführte Liste zur Bundestagswahl vom Schiedsgericht der Partei gekippt wurde und
  • das vom Ortsverband Bous im Oktober 2021 gestartete Parteiordnungs-/ Parteiausschluss Verfahren gegen Hubert Ulrich selbst.

Wie zahlreiche Presseartikel übereinstimmend berichteten, ist es für Hubert Ulrich besonders verletzend, dass es beim Konflikt nicht um politische Sachfragen ging, sondern dass eine ganze Reihe politischer Weggenossen, die in der Vergangenheit von der Zusammenarbeit mit Ulrich profitiert hatten, sich jetzt an dieser „Hetze gegen seine Person“ beteiligten und dass sich der Bundesverband ebenfalls gegen ihn und den rechtmäßig zustande gekommenen Landesvorstand stellte.  Hubert Ulrich hielt dies für undemokratisches Verhalten, weil er sich satzungsgemäß verhalten hätte. Aus seiner Sicht gelänge es ihm nur überdurchschnittlich (seit Jahrzehnten), demokratische Mehrheiten hinter sich zu versammeln, was nicht verboten sein dürfte.

Das „Grüne Bündnis“ wäre demgegenüber nach Überzeugung von Hubert Ulrich dominiert von Leuten, die einen persönlichen Groll gegen ihn hegten, was nach einer über 30-jährigen Laufbahn in der Partei nicht ungewöhnlich wäre.
„Nur weil diese Leute laut sind, haben sie noch lange nicht recht.“ Nach Überzeugung von Hubert Ulrich war seine politische Arbeit zum Nutzen der Partei und innerhalb der gesetzlichen Regeln korrekt abgelaufen. 

Vgl. zuletzt der Leitartikel von Martin Rolshofen in der Saarbrücker Zeitung vom 18.10.2021 „Streit bei saarländischen Grünen erreicht einen neuen Höhepunkt“ (S. 1), Saarbrücker Zeitung vom 04.11.2021 „Wutrede bei Grünen-Mitgliederversammlung in Saarlouis – Hubert Ulrich holt zum Rundumschlag aus“. Zum vorangegangenen Konflikt vgl. außerdem Saarbrücker Hefte, Heft 123 Sommer 2021, Das System Ulrich, Grüner Sumpf an der Saar, Wilfried Voigt, S. 7-18; Die Welt vom 09.08.2021, Time-out für den grünen „Panzer“. 

Der amtierende Landesvorstand von Bündnis 90/ Die Grünen Saar, der nach vielen Rücktritten zwischenzeitlich nur noch aus wenigen Personen bestand, hatte sich wiederholt auf die Seite von Hubert Ulrich gestellt und das Grüne Bündnis Saarland dazu aufgefordert, die Personal- und Strukturdiskussionen zu lassen und (endlich) zur politischen Sacharbeit zurück zu kehren.

Konfliktanalyse: Die Sicht des „Grünen Bündnis Saarland“

Das Grüne Bündnis Saarland war formal eine Basisinitiative, die als Reaktion auf den als undemokratisch erlebten Landesparteitag vom 20.06.2021 entstand. Bei dem Landesparteitag fiel die amtierende Landesvorsitzende Tina Schöpfer und einzige öffentlich erklärte Kandidatin für die Bundestagswahl in drei Wahlgängen durch, weil die beiden Ortsverbände Saarlouis (Vorsitz Hubert Ulrich) und Saarbrücken Mitte (Vorsitz Yvonne Brück, Schatzmeisterin und Vertraute von Ulrich) mit ihren Delegierten (zusammen mit  wenigen anderen Delegierten) den Landesparteitag beherrschten.

Hintergrund: Hauptproblem sind die seit Jahren bestehenden Ungleichgewichte bei den Delegierten des Landesparteitags: 49 Delegierte der insgesamt 160 Delegierten stellte im Sommer 2021 der größte Ortsverband Saarlouis (Vorsitz u.a Hubert Ulrich). Weitere 25 Delegierte der zweitgrößte Ortsverband Saarbrücken-Mitte, der von der Schatzmeisterin Yvonne Brück (Vertraute von Hubert Ulrich) geleitet wird. Siehe Abbildung.

delegierte

 

Die seit über 23 Jahren bestehende Dominanz von Hubert Ulrich, obwohl er abgesehen von dem Vorsitz des Ortsverbandes Saarlouis kein Parteiamt mehr ausübt. trotzdem:  Jede etwas wichtigere Sach- und Personalentscheidung lief (und läuft) auch im letzten Jahrzehnt  über Hubert Ulrich als OV-Vorsitzenden Saarlouis. Offenkundig hätte ja gar nicht die/der Landesvorsitzende der Partei, sondern der OV-Vorsitzende des bei weitem größten OV Saarlouis das Sagen.

Dies war eigentlich allen langjährigen Mitgliedern bekannt.

Warum eskalierte der alte Konflikt nach dem Landesparteitag vom 20.06.2021 so stark, dass sich etwa 120 Grünen zum Grünen Bündnis Saarland zusammen schlossen?  

Die von uns vorgenommene Analyse zeigt, dass das dreimalige Durchfallenlassen der ursprünglich einzig erklärten Kandidatin für die Bundestagswahl 2021 Tina Schöpfer (damals amtierende Landesvorsitzende) am 20.06.2021 zwar ein auslösender Faktor war, der durch weitere gemeinsame Erlebnisse beim Parteitag vom 20.06.2021 verschärft wurde und dass dadurch zahlreiche persönliche Verletzungen wieder aufgebrochen sind, die einem ähnlichen Instrumentalisierungs-Schema folgten.

Die Wut wurde verschärft durch zahlreiche weitere Merkwürdigkeiten in dem von Hubert Ulrich am 20. Juni 2021 diktierten Personaltableau.
Hubert Ulrich nahm am Ende trotz des bundesweiten Frauenstatuts den ersten Listenplatz für sich selbst in Anspruch.
Die von Hubert Ulrich ausgewählte Kandidatin für den zweiten Listenplatz war eine völlig unbekannte Kandidatin aus dem Ortsverband Saarbrücken Mitte, Iriana Gaydukova, welche keinerlei politische Erfahrung weder in Parteiarbeit noch in einem kommunalen Parlament noch in einer Bürgerinitiative hatte. Da sie nicht die einfachsten Fragen zu ihren politischen Zielen vor ihrer Wahl beantworten konnte, entstanden in der Saarlandhalle zahlreiche hochpeinliche Augenblicke, die am Ende dazu führten, dass sich die Kandidatin offenkundig persönlich verletzt fühlte und direkt wieder aus der Partei ausgetreten ist.

Die dabei sichtbar gewordene Instrumentalisierung von Menschen (missbrauchsähnliche Erfahrung) wurde allgemein als rücksichtslos erlebt, das entsprechende Video löste im Internet einen Shitstorm aus.

Die übrigen Listenplätze nahmen alte Weggefährten von Hubert Ulrich ein.

Hintergrund: Der Prozess der politischen Willensbildung funktioniert offenbar nicht demokratiekonform bei den Saar-Grünen.
Die Partei die Grünen ist als Reaktion gegen die verkrusteten Parteistrukturen der späten 70er Jahre entstanden. Als entscheidendes Merkmal der innerparteilichen Demokratie der grünen Partei werden daher bundesweit Mitwirkung und Teilhabe der Basis gesehen. In der Praxis hat sich bewährt, dass zwei Jahre vor einer Landtagswahl ein kleiner Parteitag strategische Themen identifiziert, die den Grünen wichtig sind. In einem nachfolgenden Parteitag werden diese Themen ausformuliert und ggf. neu priorisiert. Diese dienen als Headline für den Wahlkampf. Kandidatinnen und Kandidaten, die als gesondert geeignet erscheinen diese Themen nach außen zu transportieren (entweder, weil sie schon darin öffentlich wahrgenommen werden oder darin fachlich kompetent sind) werden dann anhand dieses Maßstabes von einem weiteren Parteitag auf die Wahllisten gesetzt.
Dieser Prozess ist um so wichtiger, da es bei den Saar-Grünen Berufspolitiker die Ausnahme bilden. Dieser Prozess hat die letzten Jahrzehnten so nicht stattgefunden. Der letzte kleine Parteitag wurde z. B. 2017 nach der verlorenen Landtagswahl (4%, Scheitern an der 5%.Klausel) einberufen.
Viele engagierte Grüne bedauerten dies und machten wiederholt die Erfahrung, dass Hubert Ulrich regelmäßig „kurz vor Schluss“ Mehrheiten organisierte, die seinen KandidatInnen mit auf ihnen zugeschnittene Wahlprogramme auf die passenden Listenplätze durchsetzte. Konflikte mit dem Frauenstatut wurden entweder von seiner Delegiertenmehrheit ignoriert oder die Kandidatinnen zogen – warum auch immer – am Wahlabend ihre Kandidatur zurück. Weder Öffentlichkeit noch die meisten Parteitagsdelegierte waren darauf vorbereitet, dass im vierten Wahlgang dann anstelle der an sich erforderlichen Frau (Frauenstatut) Hubert Ulrich kandidierte und gewählt wurde.

Neben der als „unbarmherzigen Machtdemonstration“ empfundenen Umgang mit der amtierenden Landesvorsitzenden wurde hauptsächlich kritisiert, dass es hierfür keine einigermaßen glaubwürdige politische Begründung gab, warum entgegen der allgemeinen Praxis im Vorfeld der Bundestagswahl kein jüngeres politisches Talent aufgestellt wurde, sondern mit Hubert Ulrich der ehemalige Landesvorsitzende nach Berlin geschickt werden sollte (der öffentlich mehrfach seinen Rückzug in die Kommunalpolitik angekündigt hatte, jetzt plötzlich aber offenbar in den Bundestag wollte). 

Unsere vertiefende Analyse unter Nutzung der psychologischen Konfliktforschung sind bislang nicht vollständig veröffentlicht, vereinfachend gesagt, weil wir kein „Öl ins Feuer“ gießen wollen. 

 

Weitere Entwicklung bis April 2022

Unter Mitarbeit des Bundesverbandes von Bündnis 90/ Die Grünen gelang es – anders als Bundestagswahl 2021 – zur Landtagswahl vom 27.03.2022 KandidatInnen aufzustellen. Allerdings scheiterte die Partei schließlich mit landesweit 4,9 Prozent denkbar knapp an der 5-Prozent-Hürde. Am Ende fehlten rechnerisch 23 Stimmen. Als Hauptgrund wird der veröffentlichten Meinung die Zerstrittenheit im letzten Jahr gesehen.

Dies ist aus unserer Sicht durchaus als tragisch zu beurteilen, vor allem weil 

  • im Wahlkampf mit hohem Engagement beide „Lager“ zusammen gearbeitet haben, so dass nach unserer Beurteilung ein echter „Neuanfang“ mit jungen, überdurchschnittlich kompetenten KandidatInnen gelang (insbesondere Anne Lahoda für den Wahlkreis Saarbrücken, hauptberuflich Wirtschaftsprüferin, und Lisa Becker als 31jährige Spitzenkandidatin der Landesliste, hauptberuflich Juristin und erste Beigeordnete in Blieskastel)
  • alle KandidatInnen überwiegend von beiden „Lagern“ getragen wurden
  • im Großraum Saarbrücken Anne Lahoda sogar über 9 Prozent erreichte,
  • insgesamt jedoch 23 Stimmen fehlten; viele BürgerInnen haben an den Wahlständen immer wieder die Konflikte der Vergangenheit als Hauptgrund gesehen, warum sie den saarländischen Grünen das Etikett „nicht wählbar“ gaben und/ oder ihr Vertrauen dem Landesverband trotz „grüner Gesinnung“ nicht schenken wollten; an fast jedem Wahlstand trafen wir grüne Stammwähler (Bundesebene), die Angst äußerten, dass dass die über viele Jahre immer wieder erlebte „Hintenrum-Steuerung“ der Landespartei durch Hubert Ulrich auch in Zukunft drohen könnte,
  • viele deshalb der neu gegründeten ökologischen Liste Bunt-Saar ihr Vertrauen schenken wollten (oder Volt bzw. ÖDP).